Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Niceville

Niceville

Titel: Niceville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Stroud
Vom Netzwerk:
anderen, gelungeneren Menschen übriggeblieben
waren. Seine Nase war flach und mit schwarzen Mitessern gesprenkelt, die Haut
war grobporig und pockennarbig, das dünne schwarze Haar hatte, obgleich Bock
noch jung war, tiefe Geheimratsecken, wodurch der Eindruck entstand, als würden
alle Gesichtszüge ins untere Drittel seiner Physiognomie gedrängt.
    Die meisten, die äußerliche Makel haben, begegnen diesen mit Humor
und Gleichmut und schaffen es mit etwas Glück, sie zu transzendieren und
sympathische, sehr oft sogar liebenswerte Menschen zu sein. Tony Bock gehörte
nicht zu ihnen.
    Er straffte seine hängenden Schultern, nahm etwas ein, was wie die
Parodie einer militärischen Haltung wirkte, und sah den Richter mit einem, wie
er glaubte, einschmeichelnden Blick an.
    »Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass Mr Bock freiwillig
und erfolgreich ein Antiaggressionstraining absolviert hat, dass er alle
ausstehenden Unterhaltszahlungen geleistet, den unabsichtlich zugefügten
Schaden an der Veranda und dem Wagen seiner Exfrau bezahlt und sich freiwillig
zu einem Elterntraining angemeldet hat, das kommende Woche beginnen wird. Mr
Bock betont, dass es weiterhin sein Wunsch ist, als liebevolle, zärtliche
Bezugsperson einen Platz im Leben seiner Tochter einzunehmen, sofern das
Gericht ihm Gelegenheit dazu gibt.«
    Richter Monroes Brillengläser blitzten abermals, als er diese
Erklärung mit einem knappen Nicken quittierte.
    Alle Anwesenden waren einigermaßen sicher, dass der Richter im
Begriff war, jemanden die ganze Härte des Gesetzes spüren zu lassen: Er hatte
sein Geier-Gesicht aufgesetzt.
    Sie wurden nicht enttäuscht.
    »Das Gericht nimmt das zur Kenntnis, Miss Barrow, und dankt beiden
Anwältinnen für ihre Professionalität und Klarheit in einem Verfahren, in dem
wir sehr widersprüchliche und emotionale Aussagen gehört haben.«
    Er hielt inne, legte den Füller auf den Papierstapel und lehnte sich
zurück. Der Sessel quietschte unter seinem Gewicht – ein eigenartig lautes
Geräusch in dem stillen Saal. Dann faltete er die arthritischen Hände über der
Gürtelschnalle und musterte gleichmütig die ihm zugewandten Gesichter.
    »Nach Anhörung aller Argumente und unter Berücksichtigung der
vorgelegten Berichte und Anträge sowie der Untersuchungsergebnisse des
Jugendamtes und der Arbeitsgruppe Häusliche Gewalt des Sheriffbüros ergeht
folgendes Urteil: Das Sorgerecht für Anna Marie Bock, jetzt Anna Marie Dellums,
wird in vollem Umfang und ausschließlich ihrer Mutter Colleen Claire Dellums
übertragen. Mr Christian Anthony Bock, Miss Dellums geschiedener Ehemann und
leiblicher Vater von Anna Marie, wird keinerlei Kontakt zu seiner Tochter
haben, weder in schriftlicher … Miss Barrow, sorgen Sie bitte dafür, dass Ihr
Mandant sich ruhig verhält.«
    Bocks Gesicht hatte sich dunkel verfärbt. Er begann, Einwände zu
machen, doch seine Anwältin brachte ihn mit einem heiseren Flüstern zum
Schweigen. Richter Monroe ließ einen langen Augenblick verstreichen und
musterte Bocks aufgeschwemmtes, gerötetes Gesicht mit einem strengen Blick.
    »Ich wiederhole: Mr Bock wird keinerlei Kontakt zu seiner Tochter
haben, sei es beaufsichtigt oder unbeaufsichtigt, und zwar so lange, bis eine
unabhängige Kommission aus Mitarbeitern des Jugendamtes zu dem Ergebnis kommt,
dass Mr Bocks vor diesem Gericht hinlänglich dokumentiertes Verhaltensmuster
aus Manipulation, Täuschung, Vertrauensbruch, Grausamkeit, Aggression und
verbaler wie körperlicher Gewalt der Vergangenheit angehört. Ich schließe nicht
kategorisch aus«, fuhr Monroe fort und hob eine arthritisch knotige Hand, »dass
in Zukunft ein beaufsichtigter Kontakt möglich sein wird, jedoch erst, wenn die
erwähnte Untersuchung stattgefunden hat und ihre Ergebnisse von mir sorgfältig
geprüft worden sind. Ich werde des Weiteren die Polizei von Niceville anweisen,
dafür zu sorgen, dass es zwischen Mr Bock und der Familie Dellum keinerlei
Kontakt geben wird, weder schriftlich noch elektronisch, visuell, televisuell,
hieroglyphisch, telepathisch oder unter Zuhilfenahme von Flaggen oder medial
veranlagten Personen. Hören Sie gut zu, Mr Bock.«
    Er musterte Bock mit kühlen grauen Augen.
    »Ich werde selbst eine zufällige Begegnung auf der Straße als einen
Vorfall betrachten, der eine eingehende Untersuchung erfordert. Sollte auf Miss
Dellums Veranda unangekündigt eine weiße Taube erscheinen, die einen Ölzweig im
Schnabel trägt, so werde ich das als

Weitere Kostenlose Bücher