Niceville
Hinsicht so links und pazifistisch, wie eine junge Frau aus dem
Süden es sein konnte.
Aber das machte gar nichts.
Aus Gründen, die sie weder sich selbst noch ihren schockierten
Kommilitoninnen, von denen die meisten ebenso ernsthaft links und pazifistisch
waren wie sie, erklären konnte, war Kate sogleich fasziniert von Nick und
seinem kompakten Körper, seinem geschmeidigen Gang und der Aura latenter
Bedrohlichkeit, die ihn umgab. Es war, als wäre er ein Leopard, der aus dem Zoo
entkommen war und nun durch das Institutsgebäude schlenderte, um die Gazellen
in Augenschein zu nehmen. Sie hörte sich ein bisschen um und erfuhr, dass er
Jura studierte, weil man ihm eine Laufbahn in der Militärgerichtsbarkeit
angeboten hatte.
Schließlich hatte sie ihren Mut zusammengenommen und ihn im Innenhof
der Bibliothek angesprochen, und sein schiefes, gänzlich unerwartetes Lächeln
und die Art, wie es die Falten in seinen Augenwinkeln veränderte, hatten eine
heiße Glut in ihr entfacht.
Als sie einen Monat zusammen waren, hätte sie alles dafür gegeben,
ihn nach Niceville mitzunehmen. Gegen Ende des Herbstsemesters war es dann so
weit. Zu Ehren von Nicks erstem Besuch war ihr Vater vom Virginia Military
Institute nach Niceville gekommen, um ihn im Anora Mercer Golf and Country Club
zu einem halbformellen Begrüßungsessen einzuladen. Bei dieser Gelegenheit
machte Tig Sutter Nicks Bekanntschaft, und als der Abend vorbei war, hätte Tig
alles dafür gegeben, diesen Mann für den CID der Belfair and Cullen County Police zu gewinnen. Gegen Ende des Studienjahrs
war es dann so weit.
Zu Kates Freude und Verwunderung hatte Nick vorzeitig seinen
Abschied genommen, auf eine Karriere in der Armee verzichtet und sich bei Tigs
neu gegründeter CID -Einheit
anheuern lassen. Er hatte ihr einleuchtend erklärt, er liebe sie, ihm gefalle
die Stadt, und auf diese Weise könnten sie zusammen sein, doch sie hatte eine
Ahnung, dass da – obgleich er das alles ganz genau so meinte, wie er es gesagt
hatte, und gar nicht imstande war zu lügen – noch etwas anderes war, das er vor
ihr verbarg, etwas, das mit seiner Dienstzeit zu tun hatte und das, wie sie
vermutete, bei einem Auslandseinsatz passiert war. Sie nahm an, dass Tig Sutter
es wusste – immerhin war er es ja gewesen, der Nick eingestellt hatte, und er
war selbst ebenfalls in der Armee gewesen –, und so versuchte sie, es in der
Bar des Moot Court mit Hilfe einer Überdosis Mojitos aus ihm herauszuholen.
Heimlichkeiten waren Tig verhasst. Er war ihr zunächst ausgewichen
und hatte durch sein offensichtliches Unbehagen ihren Verdacht bestätigt. Sie
hatte ihm zugesetzt, vielleicht ein bisschen mehr, als unter Freunden erlaubt
war, aber letztlich hatte er ihr nur freundlich, aber bestimmt erklärt, Nicks
Führungszeugnis sei makellos, doch über verdeckten Aktionen liege immer ein
dichter Nebel, und an das, was bei einer solchen Mission passiert oder nicht
passiert sei, solle man später nicht mehr rühren. So halte man es in der Armee,
und so halte auch er es, und Nick werde ihr eines Tages schon erzählen, was da
passiert oder nicht passiert sei – sofern es da überhaupt etwas zu erzählen
gebe.
Er könne nur sagen, er freue sich für sie, und Nick sei ein
regelrechter Glückspilz, aber jetzt müsse er sie in ein Taxi setzen, denn sie
sei inzwischen zweimal vorhanden, und da, wo die beiden Kates sich
überschnitten, sei alles ganz unscharf.
Nick hatte das Jahrespensum des Kurses auf der Polizeiakademie in
Glynco als Drittbester seines Jahrgangs in nur sechs Wochen und vier Tagen
absolviert und damit einen neuen Rekord aufgestellt. Kates Bruder Reed und er
waren in dieser Zeit gute Freunde geworden. Vor zwei Jahren hatten Kate und
Nick endlich geheiratet, und er war noch immer da, noch immer in Niceville, bei
ihr: Er war ihr Mann, ihr Fels in der Brandung. Im Augenblick war er nur eine
beruhigende Baritonstimme am anderen Ende der Leitung. Er sprach von dem
Hinterhalt, geduldig wie immer, wenn er ihr etwas erklärte.
»Der Schütze war vermutlich mal in der Armee, aber abgesehen davon
wissen wir kaum etwas. Ziemlich kaltblütig, das Ganze. Ich schätze, das Gewehr
war eine Barrett, jedenfalls ein .50er Kaliber. Der erste Schuss sollte wohl
den Motor lahmlegen, hat aber den Motorblock gesprengt, und ein Stück davon hat
den Fahrer getötet. Danach hat er einen nach dem anderen ins Visier genommen
und erschossen. Kann sein, dass er die anderen bloß getötet hat, weil der
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