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Niceville

Niceville

Titel: Niceville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Stroud
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erste
sowieso schon tot war – da hat er den Job eben ordentlich zu Ende gebracht. Wie
eine gute Hausfrau.«
    »Weil es in diesem Staat immer die Todesstrafe gibt, wenn bei einem
Überfall einer getötet wird?«
    »Genau. Es ist aber ebenso gut möglich, dass der Schütze sie von
Anfang an umbringen wollte.«
    »Aber warum? Er hätte doch auch bloß die Wagen lahmlegen können.«
    »Militärisch betrachtet ist das die effizienteste Lösung. Keine
Überlebenden, keine Zeugen, kein Risiko.«
    »Oh, Nick … Das ist so widerwärtig.«
    »Wie gesagt: militärisch betrachtet.«
    »Kommst du nach Hause?«
    »Wird wohl noch eine Weile dauern.«
    »Wie lange ist eine Weile?«
    »Bis es dunkel wird. Hast du die Glock noch?«
    »Ja, sie ist im Handschuhfach.«
    »Ist sie geladen?«
    »Wenn nicht, ist sie bloß ein Briefbeschwerer, stimmt’s?«
    »Bitte, Schatz, steck sie ein.«
    »Sehe ich vielleicht aus wie Dirty Harriet?«
    »Ich weiß nicht. Kneif einfach die Augen zusammen und sag: ›Make my
day.‹«
    »Okay, ich stecke sie ein.«
    »Gut. Ich liebe dich.«
    »Ich dich auch. Pass auf dich auf. Bis nachher.«

Charlie Danziger wägt seine Optionen
    Nach einiger Zeit, während der er Gelegenheit hatte, über
die Launen des Schicksals nachzudenken, trat Danziger vorsichtig aus der
Scheune, auf unsicheren Beinen, die blutigen Hände an das Hemd gedrückt, mit
weißem, schweißüberströmtem Gesicht.
    Er fiel auf die Knie und zog sein Handy hervor. Sein Mund war
ausgetrocknet, und eine lastende Müdigkeit zog ihn zu Boden.
    Ein Schnarren drang aus dem Handy, noch während er es ans Ohr
führte.
    »Halt’s Maul«, sagte er in einem heiseren, knurrenden Flüstern. »Er
hat mich erwischt. Ja. Angeschossen. Mit Kugeln.«
    Er hörte sich an, was Coker zu sagen hatte.
    »Lunge, glaube ich. Es saugt beim Atmen.«
    Er hörte weiter zu.
    »Ja, im Wagen ist eine Plastiktüte. Aber ich brauche einen Arzt.«
    Coker redete weiter.
    »Durchschuss? Weiß ich nicht. Ich muss erst einen Spiegel finden.«
    Wieder Coker.
    »Nein. Merle ist weg. Aber ich hab ihn erwischt. Ich hab gesehen,
dass ich ihn getroffen hab.«
    Wieder ein Schnarren.
    »In den Rücken. Rechts unten. Er ist glatt durch die Wand gefallen,
und von da an ist alles schiefgegangen.«
    Er hörte eine Weile zu. Sein faltiges Gesicht war bleich, seine
Lippen waren bläulich.
    »Tja, ich bin’s einfach nicht gewöhnt, Leute in den Rücken zu
schießen. So was muss man wahrscheinlich trainieren.«
    Abermals Schnarren.
    »Nein«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Nicht allein. Wir kümmern
uns später um ihn.«
    Ein weiterer hitziger Wortschwall, diesmal durchsetzt mit Flüchen.
Danziger hörte eine Weile zu, sagte ein paarmal nein, fügte, um dem Nachdruck
zu verleihen, noch ein »Leck mich« hinzu und legte auf.
    Er stand auf und taumelte zurück in die Scheune. Mit der freien Hand
suchte er im Chevy, bis er die Plastikhülle der Bedienungsanleitung gefunden
hatte. An einem Nagel neben der Tür hing eine Rolle Klebeband. Mit dem Blatt
einer alten Säge schnitt er drei lange Streifen davon ab.
    Danach versuchte er, das Hemd auszuziehen, ohne die Hand von der
Wunde in der Brust zu nehmen. Nach einer Weile gab er es auf und zerriss das
Hemd, so dass er das hässliche schwarz-rote Loch etwa acht Zentimeter unterhalb
der rechten Brustwarze sehen konnte. Jedes Mal wenn er ausatmete, traten
hellrote Blasen aus dem Loch.
    Die Wunde blutete nicht sehr, was bedeutete, dass das meiste Blut in
der Brust blieb. Mit der Zeit würde sich der Brustraum füllen, und er würde in
seinem eigenen Blut ertrinken. Es sei denn, die Kugel hatte eine Arterie
erwischt – in diesem Fall würde dasselbe passieren, allerdings mit
Warpgeschwindigkeit. Dann hätte er noch etwa drei Minuten zu leben. Das würde
er einfach abwarten müssen.
    Coker hatte ihn gefragt, ob es ein Durchschuss war. Wäre
schön, das zu wissen , dachte er, breitete die Fetzen des Hemds
aus und versuchte herauszufinden, welcher zum Rückenteil gehört hatte. Soweit
er feststellen konnte, gab es kein Austrittsloch.
    Ich
muss sicher sein , dachte er.
    Er ging wieder zum Chevy und versuchte, seinen Rücken im
Außenspiegel zu betrachten. Er benutzte den Spiegel auf der Beifahrerseite,
weil dieser konvex war und ein größeres Blickfeld bot.
    Er erfuhr nicht nur, dass Objekte im Spiegel näher waren, als sie
erschienen, sondern sah auch nichts als unverletzte Haut.
    Also kein Durchschuss. Die Kugel war noch irgendwo da drinnen.

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