Niceville
anzuschneiden. Es hatte mit einem alten Freund aus seiner
Dienstzeit und mit dem Gefallen zu tun, um den Nick ihn gebeten hatte. Er
fragte sich, ob er nach diesem Gespräch noch hier wohnen würde.
Kate war eine wunderbare Frau, eine der sanftesten, die Nick je
kennengelernt hatte, doch sie besaß auch das Temperament eines Vulkans, und
wenn sie in Rage geriet, war es klug, sich außer Reichweite zu begeben. Nick
hatte eine Weile gebraucht, um das zu verstehen, und er hatte noch immer eine
kleine Narbe an der Schläfe, die daher stammte, dass er nach links anstatt nach
rechts ausgewichen war und die Kaffeetasse abbekommen hatte, die an seinem Kopf
hatte vorbeifliegen sollen. Es hatte ihr schrecklich leidgetan, dass die Wunde
geblutet, nicht aber, dass sie ihn getroffen hatte.
Neben ihm regte sich Kate, und er nahm die schwache, aber spürbare
Veränderung der Atmosphäre wahr, als sie an diesem trüben Samstagmorgen langsam
erwachte.
»Nick«, sagte sie und streckte die Hand nach ihm aus. »Wie lange
bist du schon wach?«
Er stützte sich auf den Ellbogen, strich ihr eine kastanienbraune
Strähne aus der Stirn und sah auf sie hinab. Sie lächelte ihn an. Ihr Gesicht
war sanft, voller Liebe und Vertrauen.
Sie führten eine gute Ehe, eine sehr gute Ehe, und Nick wusste, dass
er ein Mann war, der Glück hatte.
»Wach? Seit einer Stunde vielleicht. Du hast geträumt.«
»Ja?«
»Ja. Erinnerst du dich?«
Sie schloss die Augen und dachte nach.
»Ja. Es war irgendein Quatsch. Irgendwas mit einer Frau in einem
grünen Kleid und ihrer großen hässlichen Katze. Sie wollte ins Haus, und
irgendwie wollte ich nicht, dass sie reinkommt.«
Sie sah zu ihm auf.
»Du siehst nicht besonders ausgeschlafen aus. Hast du an die
erschossenen Polizisten gedacht?«
Sein Gesicht verhärtete sich für einen Augenblick und wurde dann
wieder weicher.
»Eine Zeitlang, ja.«
»Wirst du noch mehr damit zu tun haben? Abgesehen von der
Untersuchung des Tatorts?«
»Wahrscheinlich nicht. Die First Third ist eine landesweit
operierende Bank, und darum wird das FBI den Fall übernehmen. Wir werden nicht viel damit zu tun haben, höchstens mit
irgendwelchen Randaspekten.«
»Reed wird wohl zu den Beerdigungen gehen. Du auch?«
Nick schüttelte den Kopf und wandte den Blick ab.
Kate dachte daran, dass Nick wahrscheinlich schon an mehr als genug
Beerdigungen teilgenommen hatte.
Sie wechselte das Thema.
»Als ich eingeschlafen war, bist du noch joggen gegangen, stimmt’s?«
Sie sah ihn von unten an.
»Ich staune, dass du die Kraft dazu hattest.«
Nick lächelte sie an.
»Ich musste raus. Du hättest mich fast umgebracht. Also hab ich
geduscht, und dann bin ich zum Patton’s Hard gefahren.«
Nick sagte ihr lieber nicht, dass er dorthin gefahren war, um eine
dringende Sache voranzutreiben – etwas, das er als »Festnahme ohne Haftbefehl«
bezeichnete. Er hatte Grund zu der Annahme, dass dort ein Vergewaltiger sein
Unwesen trieb, ein gemeiner Sadist, der bisher zu gerissen gewesen war, um
geschnappt zu werden.
Darum fuhr Nick jede Nacht hinaus zum Patton’s Hard und suchte nach
ihm. Und gestern Nacht war der Kerl da gewesen, in Lebensgröße. Er hatte in
einem Trainingsanzug ein paar Meter neben dem Weg im Gebüsch gelauert.
Er hatte Nick nicht kommen sehen.
Danach war etwas sehr Seltsames passiert: Als Nick auf dem schmalen
Weg am Tulip entlang nach Hause gejoggt war, hatte ihn ein riesiges
durchgehendes Pferd beinahe über den Haufen gerannt.
Er hatte es nur ganz kurz sehen können, als es durch die Lichtflecke
der am Weg aufgestellten Laternen galoppiert war. Es hatte gewirkt wie ein
Arbeitspferd, ein Clydesdale oder ein Belgisches Kaltblut – jedenfalls war es
ein gewaltiges Tier gewesen, goldbraun und mit einer langen hellen Mähne und
mächtigen weißen Hufen.
Es war groß genug gewesen, um die Erde erbeben zu lassen, als es
schnaufend im Dunkeln an ihm vorbeigedonnert war – das Geschirr hatte geklirrt,
und die schweren Hufe hatten gestampft. Das Tier war in der Nacht verschwunden,
die Hufschläge waren verklungen, und als Nick erschrocken dagestanden und ihm
nachgesehen hatte, war ein plötzlicher kalter Windstoß vom Fluss gekommen und
hatte ihn erschauern lassen.
Später, auf dem Heimweg, hatte er sich gefragt, ob das alles
wirklich passiert war. Jedenfalls hatte er nicht vor, Kate etwas davon zu
erzählen. Sie mochte Patton’s Hard nicht – für sie war es bloß ein dunkler,
gefährlicher Weg durch einen
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