Niceville
aber
Menschen zu töten erforderte besondere Fähigkeiten. Nur ein Profi konnte
kaltblütig vier Menschen umbringen.
»Ich schätze, es war ein Polizist, der die Seiten gewechselt hat«,
sagte Coker und sprach damit die Wahrheit. »Oder einer von den Special Forces,
der aus dem Krieg zurück ist. Jedenfalls einer, der es gewöhnt ist, Menschen zu
töten.«
Walker sah ihn an.
»Sir, wenn Sie diese Leute irgendwann mal im Visier haben, bei einer
Verhaftung oder einem Schusswechsel, dann knallen Sie sie einfach ab.«
»Junge, wenn diese Kerle je gefasst werden, kannst du darauf wetten,
dass sie das nicht überleben. Einen, der kaltblütig genug ist, um so was zu
tun, kriegt man nicht lebend. Den muss man töten. Wenn man kann. Der lässt
einem keine andere Wahl und nimmt so viele mit wie möglich.«
Normalerweise log Coker nicht gern. Nicht dass er moralische
Bedenken gehabt hätte, aber jemanden anzulügen war eine Art von Feigheit. Als
würde man sich vor dem fürchten, was passieren würde, wenn man die Wahrheit
sagte. Darum log er auch jetzt so wenig wie möglich.
Walker schien das zu spüren.
»Wenn es je dazu kommt, hoffe ich, dass ich dabei bin.«
»Wenn ich es einrichten kann, werde ich dafür sorgen, dass du’s
bist.«
Walker lächelte.
»Danke, Sir. Ich freue mich darauf.«
Ich
auch , dachte Coker und lächelte. Wenn es je dazu kam, würde er
Reed Walker ganz bestimmt als Ersten erledigen.
Pass
auf, was du dir wünschst, Reed.
Reed verschwand wieder in der Menge. Er war ein Teil von ihr, ohne
zu ihr zu gehören, als wäre er eingehüllt in einen Raum, den kein lebender
Mensch je würde ausfüllen können.
Coker sah ihm nach und dachte, dass Reed ein Polizist war, der jung
sterben würde. Eine Krankenschwester, mit der er mal befreundet gewesen war,
erkannte ihn und schloss ihn in ihre Arme. Die Menge verschlang die beiden wie
eine Welle, und auch Coker geriet in ihren Sog und wurde weitergetragen.
Nach einer verwirrenden Vielzahl von Umarmungen, Tränen und
verweinten Augen, nach langem Zuhören und Nicken fand Coker sich am
Wasserspender wieder, wo Billy Goodhews Frau auf seine Dienstmarke flennte,
während Bea und Lillian mit bleichen Gesichtern, großen blauen Augen und
entsetzt geöffneten Mündern zu ihm aufsahen.
Coker sah über das blonde, nach Shampoo mit Apfelaroma duftende Haar
von Billy Goodhews Frau – ihr Mann war noch nicht ganz kalt, und sie wusch sich
die Haare? – auf sie hinunter und versuchte, etwas wie Schuld oder auch nur
Mitleid zu empfinden, doch es gelang ihm nicht.
Es war ihm schon immer schwergefallen, Gefühle zu empfinden, schon
damals, im Marine Corps, doch er hatte gelernt, sie ziemlich gut zu imitieren.
Die Fähigkeit, Mitgefühl vorzutäuschen, war für den Polizeidienst unerlässlich.
Wenn er an diesem Abend überhaupt etwas fühlte, dann Georgia
Goodhews üppige Titten, die sie an seine Brust presste – sie war wirklich gut
gebaut. Und außerdem hatte er das Gefühl, er sollte sie in ein paar Tagen mal
besuchen und sehen, ob er sie vielleicht noch ein bisschen mehr trösten könnte.
Coker drückte sie an sich und ließ sie schwarze Wimperntusche auf sein
Uniformhemd schmieren, und dabei fragte er sich, ob er sie wirklich würde
flachlegen können und was für Töne sie wohl von sich gab, wenn sie richtig in
Fahrt kam, und ob er dieses schwarze Scheißzeug je aus seinem Hemd kriegen
würde.
Als er den Dienstwagen schließlich in die Garage seines großen alten
Ranchhauses in The Glades rollen ließ und ausstieg, war er kein bisschen
überrascht, als Charlie Danziger ihm die Pistole an den Hinterkopf drückte.
SAMSTAGMORGEN
Nick und Kate geraten in Turbulenzen
Als hätten sie gespürt, dass Niceville einen guten Guss gebrauchen
konnte, waren gegen Morgen aus Südwesten Wolken herangezogen, und nun prasselte
ein warmer Regen gegen das Fenster von Nicks Schlafzimmer. Er war bereits wach
und hatte im zunehmenden Morgenlicht auf Kates regelmäßiges Atmen gelauscht. Er
spürte die Wärme ihres Körpers an seiner linken Seite, er roch ihren Duft auf
seiner Haut, auf den Lippen und in den Haaren. So, wie die Nacht verlaufen war,
hätte er eigentlich den lustvollen Nachklang genießen und ruhig auf einem Meer
aus angenehmen Erinnerungen dahintreiben müssen.
Doch Nick trieb nicht dahin.
Er lag da, wartete darauf, dass der Wecker summte, und versuchte,
den Mut zu finden, um mit Kate über ein Thema zu reden, das so heikel war, dass
er sich fürchtete, es
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