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Niceville

Niceville

Titel: Niceville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Stroud
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dichten Wald aus Trauerweiden, den sie nicht
einmal im hellen Tageslicht nehmen würde.
    Kate runzelte die Stirn.
    »Mir wäre es lieber, du würdest nicht spät in der Nacht am Fluss
entlanglaufen. Das ist gefährlich. Du weißt doch, was letzten Monat dort mit
diesen beiden Mädchen passiert ist.«
    Nick sah sie an.
    »Kate –«
    »Ich weiß, ich weiß: Hurra und ›Packen wir’s an‹ und ›Semper Fi‹ und
dieser ganze Männerquatsch.«
    »›Packen wir’s an‹ ist der Werbespruch der Kabelgesellschaft, und
›Semper Fi‹ ist das Motto des Marine Corps. Ich war aber in der Army. Du weißt
doch, die Special Forces gehören zur Army.«
    Kate wusste, dass Nick sich nach den Special Forces sehnte wie ein
Raucher nach seiner Zigarette. Es war ihr ein Rätsel, wie es sein konnte, dass
ein Mann, der schon acht Jahre an der Front hinter sich hatte, nicht genug vom
Krieg hatte. Aber jetzt, da er – aus eigenem Entschluss – in Niceville war,
erwartete sie von ihm, dass er sich in ihr gemeinsames Leben einbrachte. Sie
wollte ihn ganz und gar nach Hause holen, so oder so.
    Der Mondwecker auf dem Nachttisch begann zu blinken und erhellte das
dunkle Dachzimmer mit seinem gelben Schein.
    Sie setzte sich auf, drückte die Schlummertaste und küsste Nick. Es
war ein liebevoller, forschender Kuss. Sie spürte, dass er reagierte, dass seine
Leidenschaft erwachte, und lächelte innerlich.
    So oder so.
    Das Frühstück fand eine Weile später statt und bestand aus
Toast, Saft und schwarzem Kaffee. Kate trug einen engen blauen Rock und eine
adrette weiße Bluse und war im Begriff, zur Arbeit zu gehen – sie wollte sich
mit einer Sozialarbeiterin von Belfair County treffen –, als sie über die
Teller hinweg nach Nicks Hand griff.
    »Hätte ich beinahe vergessen: Ich hab im Gericht Lacy Steinert
getroffen. Du sollst mal bei ihr vorbeischauen.«
    Nick stellte die Tasse ab und fuhr sich in einer typischen Geste mit
der Hand über das kurze schwarze Haar. Kate fand, dass er aussah, als würde ihn
etwas beschäftigen. Sie hatte keine Ahnung, was es war, aber es machte ihm das
Leben schwer. Vielleicht würde er es ihr bald erzählen.
    »Was will sie denn?«, fragte er misstrauisch.
    Kates Gesichtsausdruck veränderte sich: Der Humor und die
Leichtigkeit verschwanden. Draußen regnete es in Strömen, und ein dichter
grauer Nebel legte sich über die Straßen und stieg wie eine Flut bis zu den
Baumwipfeln. Es herrschte kurzes Schweigen. Kate hörte den Regen auf das Dach
trommeln und sah ihren Mann über den Frühstückstisch hinweg an.
    »Es ist wegen Rainey Teague«, sagte sie leise.
    Nick zuckte zusammen, wie sie es erwartet hatte, und schlug kurz die
Augen nieder. Der Fall Rainey Teague hatte Nick sehr mitgenommen, und darum
hatte sie Lacy scharf ins Verhör genommen und anschließend lange und gründlich
nachgedacht, bevor sie Nick heute Morgen davon erzählte.
    »Hat Lacy gesagt, worum es geht?«
    Kate zuckte die Schultern und bemühte sich um einen leichten Ton.
    »Du kennst sie doch – sie legt sich immer so ins Zeug.«
    Lacy Steinert war Bewährungshelferin, eine energische, sympathische
Frau, die wie eine Löwin für ihre Schützlinge kämpfte und stets nach mildernden
Umständen für irgendeinen Straftäter mit schwerer Kindheit suchte.
    »Ja, ich kenne sie«, sagte Nick. Sein Gesicht war noch immer
angespannt.
    Kate atmete tief durch und gab sich einen Ruck.
    »Es geht um Lemon Featherlight.«
    »Den kenne ich auch. Ehemaliger Marine. Zwei Dienstzeiten.
Tapferkeitsmedaille, Verwundetenabzeichen. Ein Kriegsheld. Ehrenhafte
Entlassung, aber von da an ging alles den Bach runter. Inzwischen arbeitet er
als Spitzel für Tony Branko vom Drogendezernat.«
    »Und weiter?«
    »Er ist ein Seminole aus Islamorada in den Florida Keys. Hängt oft
im Clubviertel südlich des Flusses herum. Ecstasy, Oxycodon, Valium, Demerol –
er kann dir sämtliche rezeptpflichtigen Medikamente beschaffen. Verkauft das
Zeug an betuchte Kundschaft. Und sich selbst ebenfalls, nach dem, was man so
hört.«
    »Okay«, sagte Kate. »Betuchte Kundschaft – das ist die Verbindung.
Lacy sagt, er hat ihr erzählt, dass er Demerol an Sylvia Teague verkauft hat.«
    Sie sah, dass Nick nachdachte.
    »Wegen dem Krebs?«
    »Das sagt sie jedenfalls.«
    »Kate, Sylvia Teague war eine sehr reiche Frau und hatte die beste
medizinische Versorgung. Sie hätte alles, was sie wollte, von ihrem Arzt
kriegen können, bis hin zu Heroin. Bevor Rainey verschwunden ist,

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