Nicholas Dane (German Edition)
Hill, konnten die Verantwortlichen tun und lassen, was sie wollten.
Mr Toms hatte nur eine einzige Ausbildung erhalten, und zwar in der Armee. Er hatte vor vielen Jahren aufopferungsvoll in Korea gekämpft und kannte nur eine Methode, menschliche Probleme zu bewältigen, und das war Disziplin. Schwierige Kinder musste man nur oft und kräftig genug schlagen, dann hatte man Ruhe – so war das eben. Wirklich gelöst wurden die Probleme damit natürlich nicht – sie verschwanden einfach nur in der Versenkung. Die brutalisierten Opfer machten sich einige Jahre später woanders im Land bemerkbar, traten als Drogensüchtige, Diebe, Schläger, Mörder und Vergewaltiger in Erscheinung und füllten die Gefängnisse.
Draußen, außerhalb des Heims, pflegten Nicks Freunde ihre New-Wave-Frisuren, rauchten Gras, beschummelten ihre Lehrer, schauten zu, wie ihre Eltern hinter ihnen herräumten, hauten am Wochenende auf den Putz und hörten Adam Ant, Depeche Mode oder The Clash. Drinnen, im Heim, konnte ein Junge krankenhausreif geschlagen werden, nur weil er seinen Schlafanzug nicht ordentlich genug zusammengelegt hatte. Das war Toms’ Art, einem Neuen zu zeigen, »wo der Hammer hängt«, was letztlich bedeutete, dass er Neue für die kleinste Regelverletzung zur Verantwortung zog. In Meadow Hill gab es jede Menge Regeln, und wenn gerade keine zur Hand war, dachte sich Toms eine aus. Ein Neuer machte mit Sicherheit immer irgendetwas falsch.
Die Jungen waren daran gewöhnt, dass ein Neuer so behandelt wurde. Für einige hieß es, dass sie selber aus der Schusslinie gerieten, und sie waren sehr froh darüber, dass Toms seine Aufmerksamkeit nun Nick zuwandte. Andere machten gerne mit. Es gibt immer welche, die beim größten, härtesten Jungen Eindruck schinden wollen, indem sie seinem Beispiel folgen, und Toms war nun mal der bei weitem größte Junge. Nick reagierte darauf wie immer – er wehrte sich. Dadurch brachte er die Hackordnung durcheinander. In Meadow Hill hing der Status eines Jungen nicht von Klamotten ab oder gutem Aussehen oder Witz oder coolem Auftreten oder besonderen Leistungen im Sport – hier zählte einfach nur, wie hart einer war. Nick war nicht nur auf Andrews, sondern auch auf Toms losgegangen und galt somit als hartgesotten. Und das war eine Herausforderung für jeden Jungen im Heim, der was auf seine Fäuste hielt.
Bei der ersten Gelegenheit kam es zur Schlägerei. Ein magerer, brutal aussehender Junge kam in der Pause auf Nick zu und schubste ihn.
»Hey, was glotzt’n so? Was’n los?«
»Ich hab nicht …«, verteidigte sich Nick, aber das interessierte den Jungen nicht. Er stieß Nick gegen die Schulter, so dass der rückwärtsstolperte.
»Biste bescheuert oder was? Glotzt mich einfach an. Was!« Noch ein Schubser. Viel mehr war nicht nötig. Jedenfalls nicht bei Nick. Sein Geduldsfaden riss schnell. Mit einem Wutschrei warf er sich auf den Jungen.
Und schon lag Nick auf dem Boden, bekam Tritte in die Rippen. Er versuchte aufzustehen, wurde aber wieder zu Boden getreten – bum, bum, bum. Am Ende blieb ihm nichts weiter, als sich zusammenzukugeln und zu warten, dass es aufhörte.
Mittags gab es noch zwei Prügeleien. Eine gewann er, die andere verlor er. Wenn er rechtzeitig in die Gänge kam, hatte er gute Chancen, dann war er nicht zu bremsen, aber wenn die anderen schnell waren, wie der erste Typ, hatte er verloren.
Am Nachmittag auf dem Sportplatz ging es weiter. Inzwischen war ein Spiel daraus geworden. Nick hatte seinen Kopf zu schnell zu hoch gehoben. Er war zur Zielscheibe geworden.
Am Ende seines ersten Tages standen vier Schlägereien auf seinem Konto. Was für Toms nur eine Bestätigung für seine Vermutung war, dass er mit diesem Jungen nichts als Scherereien haben würde. Vier Schlägereien! Was für Beweise brauchte es noch?
Am Abend, noch vor dem Essen, bekam Nick seine Strafe. Toms holte ihn und die beiden, mit denen er bei einer Schlägerei erwischt worden war – die anderen blieben unbehelligt –, sowie Andrews aus dem Saal. Erst nahm er sich die anderen vor. Sechs Schläge mit dem Rohrstock. Es waren zähe Jungs, die einen Schlag, ohne mit der Wimper zu zucken, hinnehmen konnten, aber Toms brachte alle, auch Andrews, dazu, vor Schmerzen zu schreien. Er hatte sie gezwungen, für ihre Bestrafung Turnhosen anzuziehen, und Nick sah voller Entsetzen, dass hinterher Blut durchschimmerte. Blut? Er war ein Kind, das bestraft wurde. Aber was hatte Blut damit zu
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