Nicholas Dane (German Edition)
für eine halbe Stunde der Fernseher angestellt. Anschließend erschien Mr Toms persönlich und befahl den Jungen, die Klapptische zum Essen aufzustellen.
Nick freute sich aufs Essen. Doch es war ein ziemlicher Fraß – teigige Fischstäbchen, klumpiger Kartoffelbrei und dazu Erbsen, deren Farbe an billigen grünen Wandanstrich erinnerte. Beim Essen wurde laut geredet. Mr Toms lief ungeduldig auf und ab und trieb sie zur Eile an, damit sie endlich fertig wurden.
Die leeren Teller wurden zur Spülküche hinter dem Gebäude getragen, wo eine Gruppe Jungen sie abwusch. Die Tische wurden zusammengeklappt und an die Wand gelehnt. Dann war Sport, zwei Stunden lang. Nick hatte eine Stunde Fußball auf dem Schotterplatz und dann noch eine in der Turnhalle.
Nick mochte Sport, er war ganz froh, dass er einfach rennen konnte und nicht nachdenken musste. Nach dem Sport wurde geduscht, und dann wurde wieder der Fernseher angestellt. Nick war inzwischen so müde und durcheinander, dass er sich einfach nur in eine Ecke setzte und auf die Schlafenszeit wartete. Um halb zehn waren alle in den zugigen, schmalen Schlafräumen und lagen unter ihren Decken. Die Betten standen auf blankem Fußboden rechts und links eines Snookertisches, der sich am Ende des Raumes befand. Als sich die Jungen im Alter zwischen dreizehn und sechzehn zum Schlafen zurechtlegten, war nicht nur Husten zu hören, sondern auch Schniefen und Weinen, und das nicht nur von den Jüngsten. Nick bemerkte davon nichts. Er lag in dem schmalen kleinen Bett, hatte die Augen geschlossen und war schon eingeschlafen, bevor das Licht ausgemacht wurde.
Nick hatte nicht nur seine Mutter verloren, er hatte sein ganzes bisheriges Leben verloren. Er hatte seine Musik, seine Bücher, seine Filme, sogar seine Anziehsachen, abgesehen von denen, die er auf dem Leib hatte, zurücklassen müssen, wie Träume, die am Morgen einfach verschwunden sind. Seine Freunde, all die Menschen, die ihm wichtig waren im Leben, Simon und Jeremy und Amanda, die Leute, die er in der Schule gekannt hatte – sie alle waren weg.
Und er hatte nicht nur seine Vergangenheit verloren, sondern mit ihr auch seine Zukunft. Seine Hoffnungen und Pläne, die nur er kannte, konnte er vergessen. Nichts davon würde verwirklicht werden. Bislang war die Rede davon gewesen, dass er auf die Universität gehen würde, aber die Schule, die Nick vom nächsten Tag an besuchen sollte, bereitete niemanden auf die Uni vor. Mit dem Licht, das vor wenigen Tagen aus Muriels Augen gewichen war, erlosch auch das Licht, das auf Nick geschienen hatte. Er war in eine armselige, Furcht einflößende Welt katapultiert worden, in eine Welt, wie er sie sich niemals hätte vorstellen können.
Der volle Ernst seines neuen Lebens begann am nächsten Morgen.
6
Mr Toms
Ein ohrenbetäubender Pfiff riss Nick aus dem Schlaf. Er fuhr hoch und blickte sich erschrocken um. An der Tür stand Mr Toms. Er hatte einen Trainingsanzug an und um den Hals eine Trillerpfeife hängen.
»Hopp, hopp, hoch mit euch, ihr kleinen Kröten«, rief er. »Hopp, hopp, hopp!« Dann ging er weiter zum nächsten Schlafraum und verkündete dort dieselbe frohe Botschaft.
Die Jungen wälzten sich herum und stöhnten, dann stiegen sie aus den Betten und stolperten eilig aus dem Raum. Nick setzte sich auf. Es war eiskalt. Er zog die Decke um sich herum und schaute benommen zu, wie die anderen Jungen sich abhetzten. Schon waren sie wieder zurück, zogen sich blitzschnell ihre Schuluniform an und legten ihre Schlafanzüge sorgfältig zusammen. Danach rissen sie das Bettzeug runter und machten ihre Betten.
Das war zu früh. Was war mit seinem Schlaf? Am Abend zuvor hatte Toms zu Andrews gesagt, er solle Nick einweisen. Doch Andrews war eben erst aus dem Bett gekrochen. Er lehnte sich ans Fensterbrett, schaute hinaus in den Tag und kratzte sich am Arsch, während ein anderer Junge das Bett für ihn machte, und Nick wollte Andrews lieber nicht stören.
Nick musste aufs Klo – dorthin waren die anderen vorhin gerannt –, aber das ging ihm hier alles viel zu schnell. Inzwischen waren alle Jungen mit Bettenbauen beschäftigt. Nick versuchte es ihnen nachzumachen, aber irgendwas machte er falsch. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen, ging zu Andrews und fragte, ob es so richtig sei.
Andrews blickte voller Entsetzen auf Nicks Bett.
»Warum hilft ihm denn keiner, verdammt noch mal? Blöde Idioten …«
Eilig kam er zu Nicks Bett rüber und packte zu. Alle
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