Nicholas Dane (German Edition)
Creal hatte es vor Jahren für Gelegenheiten wie diese eingerichtet, die sich hin und wieder ergaben. Natürlich hatte das Konto nichts mit dem Heim zu tun, es kam nur einem zugute – ihm selbst.
Er nahm den Hörer ab und rief das Jugendamt an.
»Mrs Batts? Tony Creal hier …«
»Mr Creal, wie geht es Ihnen?«
»Ganz wunderbar, sobald ich Ihre wohlklingende Stimme höre, meine Liebe …«
»Und – wie war der Pasteetenmaann?«
»Reich, eitel und egoistisch. So ein Popmusiker. Wahrscheinlich drogensüchtig. Am wichtigsten schien ihm zu sein, dass die Zeitungen nichts erfahren.«
»Ach soo. So eine Art Berüühmtheit?«
»Ich habe noch nie von ihm gehört, aber er scheint sich für sonst wen zu halten. Doch in Bezug auf Nicholas Dane – da können wir den Mann vergessen. Er zeigte nicht das geringste Interesse. Wollte nicht mal was spenden – obwohl er doch nun wirklich genug hat. Jedenfalls, wenn man nach dem Auto urteilt, mit dem er gekommen ist.«
»Was für ein Jaammer!«
»Deswegen bleiben die Reichen reich, Mrs Batts.«
»Daa haben Sie wohl Recht. Und wie geht es Nick? Kommt er immer noch gut zurecht?«
»Ganz wunderbar. Er hat Freunde gefunden, er gibt sich große Mühe in der Schule. Ich bin wirklich zufrieden mit ihm.«
»Bekommt er baald mal ein freies Wochenende? Jenny Hayes, die Freundin seiner Mutter, lässt nicht locker.«
»Noch nicht. Ehrlich gesagt, er ist hin und wieder noch in eine Prügelei verwickelt. Aber sagen Sie ihr nichts davon, ich möchte ihm nicht den Weg verbauen. Aber er braust leicht auf, und wenn er ausrastet, dann rastet er aus. Ich glaube, Sie haben das ja selber mitbekommen.«
»Beim Abendessen, jaa. Aber ich glaube nicht, dass maan ihn deshalb …«
»Nein, verantwortlich machen kann man ihn dafür nicht, nicht nach dem, was er durchgemacht hat. Aber vielleicht haben Sie ihn nicht in Höchstform erlebt. Ich habe gesehen, wie er andere Jungen, die ein Stück kleiner sind als er, ganz schön zugerichtet hat. Ehrlich gesagt, Mrs Batts, ich denke dabei nicht mal so sehr an Nick – es sind vielmehr Mrs Hayes’ eigene Kinder, um die ich mir Sorgen mache.«
»Aaach je!«
»Ich weiß – man kann wirklich nie sagen, wie er reagiert, deshalb glaube ich nicht, dass das immer so bleiben muss – aber jetzt würde ich es einfach noch nicht riskieren.«
»Also ist er ein Schlägertyp?«
»Ich fürchte, ja.«
»Tjaa. Sie geben sich immer soo große Mühe mit solchen Jungen! Offenbar geht es voraan, und das ist ja das Wichtigste. Sie werden mich doch auf dem Laufenden halten, Mr Creal, nicht waahr?«
»Aber ganz gewiss doch«, versprach er. Und nach ein paar weiteren Schmeicheleien legte er den Hörer auf.
Geschafft.
11
Zahltag
Ende Juni war Nick fast zwei Monate in Meadow Hill und hatte immer noch nicht genug Punkte für ein freies Wochenende gesammelt. Zwar gab ihm Mr Creal regelmäßig welche, doch Toms kassierte sie sofort wieder.
»Rivalität«, erklärte ihm Mr Creal. »Toms ist einfach ein großer Junge. Er weiß, dass du zu denen gehörst, die ich mag, und er weiß, dass ich eingreifen würde, wenn er dich zu sehr verprügelt, also knöpft er dir stattdessen Punkte ab.«
Das Punktesystem war eigentlich nichts weiter als ein Mittel zur Disziplinierung: Die Jungen, die Punkte gebraucht hätten, bekamen einfach nie welche. Oliver hatte zwölf Punkte zusammen, schon seit langem, aber er wusste nicht, wo er das Wochenende hätte verbringen sollen. Von seiner Mutter hatte er seit Jahren nichts mehr gehört. Ihre Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke waren längst ausgeblieben.
»Ich hab was, wo ich hinkann, und mir geben sie keine Punkte«, stöhnte Nick.
»Ja, echt blöd«, sagte Davey.
Davey hatte sechs Punkte, aber niemand rechnete damit, dass er die lange behalten würde.
»Die wissen genau, dass ich nicht zurückkomm, wenn se mich einmal aus diesem miesen Loch rauslassen«, sagte er. »Ich sag euch, meine Punkte sind alle weg, wenn’s so weit ist, dass ich rausdürfte. Die finden immer einen Grund.«
Davey hatte von Anfang an vor abzuhauen, aber da er schon so oft ausgebrochen war, ließen ihn die Aufsichtsschüler nie aus den Augen. Er gab sich redlich Mühe, Nick davon zu überzeugen, mit ihm zusammen zu fliehen, aber Nick setzte immer noch alle Hoffnungen auf den »lieben Tony Creal«, wie die anderen Jungen den stellvertretenden Heimleiter nannten. Jedes Mal, wenn Nick Creal traf, versicherte der ihm, dass er wirklich kurz
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