Nicholas Dane (German Edition)
sagte er.
Der Rest des Tages war für Oliver wie ein sich langsam entfaltender Albtraum. Er musste sich entscheiden. Wenn er keine Zigaretten mitbrachte, verlor er Nick. Wenn er welche stahl, fiel er Tony Creal in den Rücken. Die Prügel, die Nick Oliver verpasst hatte, hatten ihm auf unheimliche Weise bestätigt, dass Nick wirklich Interesse an ihm hatte. Aber bei Creal war das anders. Seit Oliver in Meadow Hill war, hatte Creal ihn in einen magischen Kokon aus Scham, Entsetzen, Freude und Hilflosigkeit gewickelt, den Oliver nicht aufzubrechen vermochte. Creal beherrschte Olivers Seele und Herz.
Der Tag zog sich so langsam hin, wie sich nur Zeit hinziehen kann, aber irgendwann war er vorbei. Der Unterricht begann und ging zu Ende, es gab Essen, sie hatten Sport. Nick klopfte ihm auf die Schulter und sprach ihm Mut zu, Davey ging ihm aus dem Weg. Oliver nahm ihm nicht übel, dass er ihm nicht traute. Er traute sich ja selbst nicht. Er hatte keine Ahnung, welchen Weg er einschlagen würde.
Tony Creal hatte einen Fehler gemacht, als er Nick zu seinem Spielzeug erkoren hatte. Er war ein intelligenter Mann, aber er suchte seine Opfer nicht mit dem Verstand aus – das betrieb er instinktiv. Er wählte schwache Jungen, die schon gebrochen waren und sich daher voll und ganz auf Creals Bedingungen einließen. Vielleicht lag es an seiner Ausstrahlung, seinem Charme, seiner Intelligenz, dass er sich selbst überschätzte. Nick hatte in den ersten furchtbaren Wochen in Meadow Hill den Eindruck erweckt, niedergeschlagener zu sein, als er tatsächlich war. Aber dann hatte er sich zur Wehr gesetzt, was Creal überhaupt nicht gewohnt war. Zwar bekam Creal am Ende, was er wollte – durch die Vergewaltigung –, aber Nick war eigentlich nicht der Typ, den er sich sonst aussuchte. Als sie die Arrestzelle verließen, machte ihn einer seiner Kollegen darauf aufmerksam.
»Der ist zu widerborstig«, sagte der Mann, ein älterer Polizist. »Glaub mir. Seelig sind die Sanftmütigen, Tony, die nehmen hin, was ihnen geschieht.« Der Mann lachte über seinen eigenen Scherz, und Tony Creal hatte Stoff zum Nachdenken.
Inzwischen hatte er wieder zum Vertrauten gegriffen. Der neue Junge, den er sich jetzt heranzog, war, genau wie Oliver, sein Leben lang zwischen Heim und Familie gependelt. Er war hübsch, blond, jung und verletzlich – genau richtig.
Das Problem war, dass der kleine Mistkerl ihm nicht alles gab. Er ließ Mr Creal tun, was immer er wollte, war eine Puppe in Creals Händen. Er lag einfach da, schloss die Augen und wurde wachsweich. Eine Weile gefiel Tony Creal das ganz gut, aber der Junge wollte Creal nicht anfassen. Er machte einfach gar nichts. Wirklich ausgesprochen ärgerlich.
Das war Jeremys Art, die Tortur zu überstehen. Er schaltete einfach ab. Er stellte sich vor, in seinem Kopf wäre ein Schalter, den er umlegte … und dann geschähe nichts oder wäre geschehen oder würde jemals wieder geschehen.
Hinterher konnte er sich an kaum etwas erinnern. Es war ein guter Trick, der ihm zu jenem Zeitpunkt half, aber später, als er versuchte, eigene Beziehungen einzugehen, führte diese Angewohnheit dazu, dass er jedem Menschen, der ihm nahekam, das Herz brach.
An jenem Abend wollte Mr Creal Oliver dabeihaben, damit Jeremy sah, wie ein anderer Junge Mr Creals Zuwendungen genoss. Dann würde Jeremy manches vielleicht nicht mehr für so selbstverständlich halten. Ein bisschen Eifersucht war schon immer hilfreich gewesen …
Der Abend verlief wie üblich. Creal setzte sich mit den beiden Jungen an den Tisch, spielte Karten mit ihnen und bot ihnen Getränke an – ein bisschen Bier erleichterte die Sache. Später nahm er Oliver beiseite und blieb mit ihm allein – er machte nicht viel, spielte nur ein wenig an ihm herum und sagte ihm, dass er ihn immer noch liebe.
»Du bist mein Bester, das weißt du doch, oder, Oliver?«, fragte er. »Die anderen Jungs, die sind bloß zum Amüsieren da.«
Doch bald schickte er ihn Jeremy holen, Oliver sollte derweil im Wohnzimmer warten. Creal wollte erst einmal versuchen, allein mit dem neuen Jungen zurechtzukommen. Wenn der ihn immer noch hinhielt, dann wollte er Oliver dazuholen. Mal sehen, wie dem Schlappschwanz das gefiel!
Der andere Junge kam zu ihm ins Schlafzimmer, eher betrunken als nüchtern, was wahrscheinlich gut war. Creal sagte ihm, er solle sich setzen, und plauderte mit ihm über dies und das – über das Leben des Jungen, wie sehr er doch misshandelt und
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