Nicholas Dane (German Edition)
kurz vor der Sportstunde, schickte Mr Creal nach Oliver. Der war überrascht und machte sich gleich wieder Hoffnung – was ihn selbst verwunderte. Aber er konnte einfach nicht anders. Vielleicht hatte Mr Creal begriffen, wie viel ihm Oliver tatsächlich bedeutete, vielleicht hatte er gemerkt, wie sehr er ihm fehlte. In dem Moment hätte Oliver ihm alles vergeben.
Es ließ sich gut an. Mr Creal empfing Oliver voller Freude in seinem Büro. Er stand auf und kam zur Begrüßung um seinen Schreibtisch herum, legte dem Jungen seinen Arm um die Schulter, zog ihn an sich und zupfte ihm am Ohr.
»Wo warst du nur die ganze Zeit?«, fragte er, als hätte er überhaupt nichts damit zu tun. »Die blauen Flecken und Schrammen heilen gut«, fuhr er fort und umfing Olivers Gesicht mit seinen Fingern. »Das wird schon wieder, keine Bange.« Oliver blickte ihn an, Creals Miene verriet nichts. »Du siehst aus wie eine kleine Porzellanfigur!«, scherzte Mr Creal. »Mal abgesehen von den Sprüngen, die dieser böse Junge deinem hübschen Gesicht verpasst hat. Ich weiß, ich weiß, ich habe dich vernachlässigt, Oliver …« Er legte den Kopf zur Seite, als wollte er Oliver freundlich für seine Zweifel tadeln. Unwillkürlich machte Olivers Herz einen Satz. »Du musst dich noch ein bisschen erholen, weißt du«, fügte Creal hinzu und tastete zart über die letzte Schramme in Olivers Gesicht. »Wir kriegen dich schon wieder auf die Beine, du wirst sehen.«
Oliver durfte sich setzen, dann bekam er Kakao und Schokoladenkekse, und Creal erklärte ihm, was er von ihm wollte.
»Ich möchte, dass du morgen mit zur Webb-Hill-Schule kommst, zum Fußballspiel«, sagte er und zwinkerte ihm zu. Olivers Hoffnungen zerstoben.
Meadow Hill hatte immer wieder Punktspiele gegen andere Schulen und Heime der Umgebung. Wer gut Fußball spielen, laufen oder Kricket spielen konnte und vertrauenswürdig war, kam in die Mannschaft. Das war eine Vergünstigung – ein Tag außerhalb des Heims, ein Spiel, ein Blick auf normales Leben. Oliver interessierte sich nicht für Sport, überhaupt nicht. Er wusste daher genau, was von ihm erwartet wurde, als Mr Creal ihm mitteilte, er würde ihn mitnehmen.
Er geriet in Panik. »Mir geht’s nicht so gut, Sir«, sagte er. »Mir tun die Rippen weh.«
Mr Creal zuckte die Achseln. »Ach, das wird schon. Komm, Oliver, sei kein Spielverderber – das ist doch was Besonderes. Die anderen Jungen würden sonst was dafür geben.«
Mr Creal lud gern gelegentlich Gäste zu sich ein. Da er faktisch über eine unbegrenzte Zahl von Jungen verfügte, war er bei bestimmten Männern sehr beliebt. Einige von ihnen arbeiteten selbst mit Kindern – man könnte sagen, sie hatten da ein besonderes Interesse – und so kam es, dass sich an bestimmten Schulen an ausgesuchten Sport- und Wettkampftagen eine Gruppe gleichgesinnter Männer traf. Ab und zu brachte der eine oder andere einen Jungen mit. Während draußen auf dem Platz Fußball gespielt wurde, trafen sich Mr Creal und seine Freunde in einer Wohnung und amüsierten sich. Es konnten zwei, drei, sogar vier Männer sein. Dabei verfuhren sie nicht so grob wie bei Nick in jener Nacht – Vergewaltigung war eine Strafe –, trotzdem war es schlimm, erniedrigend und schrecklich.
»Ich möchte nicht mit, Sir. Sie wissen doch, dass ich es nur mit Ihnen mag«, bettelte Oliver. Das war eine Lüge. Oliver mochte es überhaupt nicht. Er mochte nicht diesen Mann, sondern dessen vorgebliche Zuneigung.
»Unfug, das ist doch was Schönes«, wiederholte Mr Creal.
»Aber Sie haben doch selber gesagt, ich muss mich noch erholen …«
»Jetzt ist aber gut«, brummte Mr Creal. »Komm schon, Oliver. Ich habe so viel für dich getan – mehr, als du dir vorstellen kannst.« Er nickte, um seine Worte zu bekräftigen, als gäbe es irgendwo ein riesiges verstecktes Sammelbecken von Gefälligkeiten, die er Oliver erwiesen hatte, ohne dass der davon wusste. »Also, ich hole dich morgen nach der Schule ab, um vier.« Er zog eine seiner Papiertüten aus der Schublade und schüttelte sie einladend. Dann drückte er dem Jungen die Tüte in die Hand und entließ ihn. Und schon stand Oliver draußen auf dem Flur.
Tony Creal hatte sich vor geraumer Zeit eingeredet, dass die Jungen, die er missbrauchte, es genossen. Bestimmte Kollegen und er führten lange Gespräche darüber – wie sich die Gesellschaft gegen sie verschworen habe, wie ungerecht es sei, dass Kindern sexuelles Vergnügen mit einem
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