Nicholas Dane (German Edition)
Zweigen einer Trauerweide, jenseits der Mauer, die das Heimgelände umfasste. Es war früh, etwa acht Uhr morgens. Der Tag begann. Die meisten Leute waren mit Autos und Fahrrädern unterwegs, zu Fuß zum Glück nur wenige, und die gingen auf der anderen Straßenseite, denn auf dieser gab es keinen Bürgersteig.
»Scheiße, jetzt stecken wir unter diesem beschissenen Baum fest«, sagte Davey.
Er hatte Recht. Beide trugen ihre Meadow-Hill-Schuluniform, dunkelblau mit hellgelben Streifen auf Pullover, Jacke und Schlips. Auffälliger ging’s kaum. Abgesehen davon waren die Uniformen schäbig und abgetragen. Die beiden Jungen sahen aus wie zwei schlecht angezogene Wespen, die sich unbeliebt machen wollten.
»Da können wir uns ja gleich ›Auf der Flucht‹ auf die Stirn schreiben«, sagte Davey. Also zerrten sie sich als Erstes das gestreifte Zeug vom Leib – Schlips, Pullover, Jacke. Es war ein kühler Morgen, und im Hemd war es alles andere als warm, aber das war immer noch besser, als sich öffentlich als Ausreißer zu präsentieren.
Sie versteckten ihre Sachen zwischen den Büschen, traten hinaus in den Sonnenschein und gingen festen Schrittes die Straße entlang. Eine Frau, die ihren Hund spazieren führte, warf ihnen einen langen Blick zu, dann schürzte sie die Lippen und wandte den Kopf ab.
»Was gib’s ’n da zu glotzen?«, rief Davey.
Nick stieß ihn in die Seite. »Idiot«, zischte er.
»Wenn die so blöd guckt!«
»Alle werden so gucken. Weil du auffällst.«
»Scheiß drauf. Wir ham’s geschafft, nich?«
Aber Nick war sich da nicht so sicher. Er musste wieder an den Pfadfinderleiter denken. Die Polizei würde die Augen nach ihnen offen halten, und jeder Passant könnte zum nächsten Telefon gehen und sie verraten. Nick beobachtete die Leute, die Autos, die vorbeifuhren, die Kinder, die mit dem Fahrrad zur Schule unterwegs waren, sie anstarrten und dann schnell wegguckten …
»Das läuft nicht. Die Leute erkennen uns«, sagte er.
»Wir könnten uns ein paar Klamotten von ’ner Wäscheleine holen«, schlug Davey vor. So hatten es seine Geschwister und er es zu Hause in Ancoats immer gemacht. Davey und Nick guckten in die Gärten und hielten nach Wäsche Ausschau, aber es war früh am Tag, noch hatte niemand gewaschen und auf den sonnenbeschienenen Leinen saßen nur Spatzen und Wäscheklammern.
»Ich hab Hunger«, sagte Davey.
»Halt die Klappe«, sagte Nick. Sie hatten einen weiten Weg nach Hause vor sich und wussten nicht mal, wo sie gerade waren. Nicht einen Gedanken wollte er an Essen verschwenden. Doch einen Augenblick später winkte ihnen zum ersten Mal das Glück – in Form eines Straßenschildes.
» Manchester, 5 Meilen «, stand darauf. Das Schild wies in Richtung einer breiten, viel befahrenen Straße.
»Da geht’s ins Zentrum«, sagte Nick. »Wenn wir erst mal da sind, finden wir den Weg.«
»Alter, was für eine schöne, wunderbare Straße«, säuselte Davey. »O Mann, ist das geil. Wir sind so gut wie zu Hause.«
Nick zog eine Grimasse. »Große Hauptstraße, zwei hemdsärmlige Jungs zu Fuß, alle fünf Minuten ein Bullenauto. Was glaubst du wohl, wie weit wir da kommen?«, fragte er düster.
Davey hatte langsam die Schnauze voll. »Immer, wenn’s gut läuft, haste was zu meckern«, sagte er. »Als wenn de gar nich wegwillst.«
Als er seinen nächsten schlauen Vorschlag machte und Nick auch den ablehnte, wurde er richtig sauer. Sie hatten auf dem Weg zu der großen Straße einen Waschsalon entdeckt. Davey meinte, sie sollten am Eingang warten, bis jemand mit einer Tasche voller Klamotten rauskäme, ihn anrempeln, dass ihm alles aus der Hand fiel, die Tasche packen und abhauen.
»Bingo! Und schon sind wir angezogen wie Helden«, erklärte er.
»Klar, oder wie Mädchen. Oder alte Männer. Oder Krankenschwestern. Oder Babys. Je nachdem, was gewaschen wurde«, bemerkte Nick säuerlich.
Davey war wütend, hauptsächlich, weil er frustriert war, aber er musste zugeben, dass sein Plan einen Haken hatte.
»Na gut, also, wenn mein Grips nich reicht, was hast ’n du zu bieten, du Klugscheißer?«
Nick drehte auf dem Absatz um.
»Wo willste hin?«, fragte Davey.
»Zurück.«
»Zurück?«
»Wir müssen abtauchen. Wo der Flatterweg ist, gibt’s jede Menge Verstecke, und da suchen sie uns garantiert nicht. Und heute Nachmittag, wenn Berufsverkehr ist, können wir losgehen, ohne dass wir auffallen.«
»So lange kann ich nich warten!«, rief Davey. Es schien ihm
Weitere Kostenlose Bücher