Nicholas Dane (German Edition)
bedeutete, der Absender gehörte zum Personal, ein Junge hätte Flatterweg gesagt. Mr Creal rannte sofort los. Er musste die Bilder zurückbekommen. Schon ein einziges könnte seinen Ruin bedeuten. Er wäre vor der Öffentlichkeit bloßgestellt. Man würde ihn vor Gericht zerren. Alle würden es erfahren. Dann: Gefängnis. Und er wusste genau, wie die anderen Männer solche wie ihn behandelten. Schläge. Vergewaltigung. Gott weiß was noch.
Und deswegen war er nun dort, durchkämmte die Büsche, rannte durch den Schlamm, wurde immer dreckiger, suchte die Beweise. Er bot ein Bild des Jammers – war aber deswegen nicht minder gefährlich. Nick wartete still, bis Creal außer Sichtweite war, dann kroch er zurück zu der Stelle, an der er Davey zurückgelassen hatte.
Er hatte erwartet, dass Davey weg wäre, aber der saß immer noch auf dem Baumstamm und blickte ihm entgegen.
»Und?«
»Creal.«
Davey sprang auf. »Wo?«
»Nicht hier. Da hinten, am Flatterweg. Keine Panik, er hat mich nicht gesehen.«
»Widerliches Schwein.«
»Los, wir schnappen ihn uns«, sagte Nick plötzlich.
»Was willste?«, fragte Davey.
»Wir schnappen ihn uns. Wir zeigen’s ihm. Schlagen ihm den Schädel ein. Wir sind zu zweit. Warum nich?«
»Willste, dass sie dich auch noch wegen Körperverletzung drankriegen?«, fragte Davey.
»Wir beide schaffen das.«
»Du hast nich zugehört. Willste, dass sie dich auch noch wegen Körperverletzung drankriegen?«
Nick argumentierte, aber Davey wollte nichts davon wissen. Das war zu riskant. Nick musste seinen Ärger runterschlucken. Creal würde wieder einmal davonkommen.
Doch Tony Creal bekam tatsächlich eine Art Strafe – Angst. Er hatte nicht alle Bilder wiedergefunden und musste davon ausgehen, dass sie jemand anders hatte, vielleicht Nick, der nur darauf wartete, sie der Polizei übergeben zu können, oder ein anderer Junge oder ein Kollege, der von ihnen Gebrauch machen würde, wenn die Zeit reif war. Die fehlenden Fotos hingen in den folgenden Jahren wie ein Damoklesschwert über seinem Kopf, das war Creals persönliches, schmuddeliges Schicksal. Als Creal die Suche aufgab, fehlten seiner Schätzung nach acht oder neun Bilder. Zwei davon waren von den Aufsichtsschülern aufgehoben worden, als sie zurückgingen. Sie guckten sie an, lachten, zeigten sie ihren Kumpels und schmissen sie dann ins Klo. Aufheben war zu gefährlich. Zwei waren von einem Hausvater gefunden worden, der eines davon unter Creals Tür geschoben hatte und das andere bei sich aufbewahrte. Vielleicht dachte dieser Jemand, so vermutete jedenfalls Creal, das könnte ihm eines Tages von Vorteil sein. Die übrigen Bilder hatte Nick zerrissen und ins Klo geschmissen. Aber das konnte Creal natürlich nicht wissen.
Im Laufe des Tages schlug Creals Enttäuschung über Oliver in Zorn um. Oliver war immer noch im Arrest, aber Creal ging nicht zu ihm. Noch nicht. Sollte der kleine Mistkerl im eigenen Saft schmoren. Er wusste, was er getan hatte. Noch einen Tag oder so. Dann würde er ihm einen kleinen Besuch abstatten, einen, der ihm ganz, ganz bestimmt nicht schmecken würde.
21
Unterwegs
Davey wollte sofort abhauen, als er erfuhr, dass Creal in der Nähe war, aber Nick konnte ihn bremsen. Sie verkrochen sich in die entfernteste Ecke des Geländes, wo auf morastigem Boden Erlen und Brombeergestrüpp wuchsen. Keiner der Jungen hatte eine Uhr, und die Versuchung, sich hinaus auf die Straße zu schleichen und herauszufinden, wie spät es war, war nahezu überwältigend. Einige zischend geführte Streitgespräche später war das Brummen, das durch die Bäume drang, lauter geworden. Offenbar nahm der Verkehr zu.
»Berufsverkehr? Kann nicht sein«, sagte Nick.
»Vielleicht is Mittag? Mir reicht’s jetzt. Kommste mit?«
Nick zuckte betreten die Achseln. »Ja.«
Also entledigten sich die Ausreißer zum zweiten Mal ihrer Uniform und machten sich auf den langen Weg nach Norden.
Nun ging es endlich los. Das Wetter war ziemlich gut – ein bisschen Wind, aber die Sonne schien und wärmte die Haut. Es waren jede Menge Leute unterwegs, auch Jugendliche und Kinder, die zum Mittagessen nach Hause gingen oder sonst irgendetwas zu tun hatten, mit und ohne Schuluniform, so dass die beiden Jungen in ihren Hemdsärmeln nicht so auffällig waren wie am Morgen. Autos, auch Polizeiautos, fuhren vorbei, aber auf so einer geschäftigen Straße schenkte niemand zwei Jungen besondere Beachtung.
Die große Straße, auf die sie
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