Nicholas Flame Bd. 1 Der Unsterbliche Alchemyst
betroffener Miene. Der Laden war geschlossen. Wortlos tippte Flamel auf die Papieruhr, die von innen an die Tür geklebt war. Die Zeiger standen auf halb drei, und darunter klebte ein Zettel, auf den jemand »Bin zum Essen. Komme 14.30 Uhr wieder« gekritzelt hatte. Jetzt war es fast halb vier.
Flamel und Scatty traten noch dichter an die Tür und lugten hinein, während die Zwillinge durchs Fenster schauten. In dem kleinen Laden wurden offenbar nur Glaswaren verkauft: Schüsseln, Krüge, Teller, Briefbeschwerer, kleine Statuen und Spiegel. Jede Menge Spiegel, in jeder Form und Größe, von kleinen runden Spiegeln bis hin zu riesigen rechteckigen. Ein Großteil der Glaswaren sah neu aus, aber bei einigen Stücken im Schaufenster handelte es sich ganz offensichtlich um Antiquitäten.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Flamel. »Wo kann sie sein?«
»Wahrscheinlich ist sie zum Mittagessen gegangen und hat vergessen zurückzukommen«, meinte Scatty. Sie drehte sich um und schaute die Straße hinauf und hinunter. »Wenig los heute.« Obwohl Freitagnachmittag war, herrschte kaum Verkehr auf der Hauptstraße, und nicht einmal ein Dutzend Fußgänger schlenderte die überdachte Promenade entlang.
»Wir könnten in den Restaurants nachsehen«, schlug Flamel vor. »Was isst sie denn gern?«
»Frag nicht«, erwiderte Scatty rasch. »Du willst es nicht wissen.«
»Vielleicht sollten wir uns aufteilen…«, begann Nicholas.
Aus einem Impuls heraus drückte Sophie auf die Türklinke; eine Glocke schlug an und die Tür ging auf.
»Gut gemacht, Schwester.«
»Ich hab das mal in einem Film gesehen«, murmelte sie und betrat den Laden. »Hallo?«
Keine Antwort.
Das Antiquitätengeschäft war wirklich winzig, ein lang gestreckter, rechteckiger Raum, aber die vielen Spiegel, von denen einige sogar an der Decke hingen, ließen den Laden wesentlich größer erscheinen, als er tatsächlich war.
Sophie legte den Kopf in den Nacken und atmete tief ein. »Riecht ihr das?«
Josh schüttelte den Kopf. Die Spiegel machten ihn nervös. Er sah sich immer wieder neu von allen Seiten, und in jedem Spiegel erschien sein Bild anders: gedehnt, gebrochen oder verzerrt.
»Was riechst du?«, fragte Scatty.
»Es riecht nach…« Sophie überlegte. »Nach einem Lagerfeuer im Herbst.«
»Dann war sie hier.«
Sophie und Josh sahen Scatty verständnislos an.
»So riecht die Hexe von Endor. So riecht Elfenmagie.«
Flamel war unter der Tür stehen geblieben und schaute die Straße auf und ab. »Sie kann nicht weit gegangen sein, wenn sie den Laden nicht abgeschlossen hat. Ich sehe mal nach, ob ich sie finde.« Er wandte sich an Scatty. »Woran erkenne ich sie?«
Scatty zog eine Grimasse. »Glaub mir, wenn du sie siehst, weißt du, dass sie es ist.«
»Ich bin bald wieder da.«
Als Flamel auf die Straße trat, hielt ein schweres Motorrad fast direkt vor dem Laden. Der Fahrer blieb einen Moment sitzen, gab dann Gas und röhrte wieder davon. Der Lärm war unbeschreiblich. Die gesamte gläserne Ware in dem kleinen Laden vibrierte.
Sophie presste die Hände auf die Ohren. »Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalten kann«, schrie sie.
Josh führte sie zu einem Stuhl, damit sie sich hinsetzen konnte. Er kauerte sich neben sie und hätte gern ihre Hand gehalten, traute sich aber nicht, sie zu berühren. Er kam sich so nutzlos vor.
Scatty kniete sich direkt vor Sophie, sodass ihre Gesichter auf gleicher Höhe waren. »Als Hekate deine Kräfte weckte, konnte sie dir nicht mehr zeigen, wie du sie aktivieren und zurückdrängen kannst. Im Moment sind sie die ganze Zeit über hellwach, aber so wird es nicht bleiben, das verspreche ich dir. Mit ein wenig Training und ein paar einfachen Schutzzaubervarianten wirst du lernen, wie du deine Sinne beherrschen und nur für kurze Zeit aktivieren kannst.«
Josh schaute die beiden Mädchen an. Erneut fühlte er sich von seiner Schwester getrennt, wirklich und wahrhaftig abgetrennt. Er wünschte so sehr, er könnte etwas tun, um ihr zu helfen. Aber es fiel ihm nichts ein, absolut nichts.
Als hätte Scatty seine Gedanken gelesen, sagte sie plötzlich: »Es gibt da etwas, womit ich dir vielleicht helfen kann.« Die Zwillinge merkten, dass sie zögerte. »Es tut nicht weh«, fügte sie rasch hinzu.
»Noch mehr Schmerzen sind ohnehin nicht möglich«, flüsterte Sophie. »Tu es.«
»Ich brauche zuerst deine Einwilligung.«
»Soph-«, begann Josh, doch seine Schwester ignorierte ihn.
»Tu es«,
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