Nicholas Flamel Bd. 2 Der dunkle Magier
eine verschwommene, unheilvolle Silhouette vor dem purpurfarbenen Himmel. Sie überdachte ihre Situation: Sie war gefangen auf einer Insel, auf der es von Spinnen nur so wimmelte, in deren unterirdischen Gängen eine Sphinx frei herumlief und wo in den Gefängniszellen Kreaturen saßen, die den dunkelsten Sagen entsprungen schienen, von denen sie je gehört hatte. Dazu kam, dass sie selbst unwahrscheinlich geschwächt war. De Ayala hatte sie gesagt, dass sie schon in schwierigeren Situationen gewesen sei, aber im Augenblick fiel ihr keine ein.
Der Geist erschien neben Perenelle. » Wie kann ich dir helfen? «
»Wie gut kennst du die Insel?«, fragte sie.
» Ha! Ich kenne jeden Winkel. Ich kenne die geheimen Plätze, die nur zur Hälfte fertiggestellten Tunnel, die von den Gefangenen gegraben wurden, verborgene Korridore, zugemauerte Räume, die alten, unterirdischen Indianerhöhlen tief im Fels. Ich kann dich verstecken, wo keiner dich je finden wird. «
»Die Morrigan ist einfallsreich. Und dann sind da ja auch noch die Spinnen. Sie würden mich finden.«
Der Geist schwebte wieder herum, bis er erneut direkt vor ihr stand. Nur seine Augen – von einem tiefen Braun – waren in der Dunkelheit zu erkennen. » Oh, die Spinnen hat Dee nicht unter seiner Kontrolle .«
Perenelle trat überrascht einen Schritt zurück. »Ach nein?«
» Sie sind erst vor ein paar Wochen aufgetaucht. Da sind mir die Netze vor den Türen und auf der Treppe aufgefallen. Jeden Morgen waren mehr Spinnen da. Sie kamen mit dem Wind herübergeflogen, ließen sich von Fasern tragen. Zur selben Zeit waren menschenähnliche Wachen auf der Insel … Aber richtige Menschen waren es nicht «, fügte er rasch hinzu. » Entsetzliche Wesen mit ausdruckslosen Gesichtern. «
»Homunculi«, sagte Perenelle schaudernd. »Kreaturen, die Dee in Fässern voll brodelndem Fett züchtet. Was ist aus ihnen geworden?«
» Sie hatten die Aufgabe, die Spinnweben wegzufegen und die Türen frei zu halten. Einer ist gestolpert und in ein Netz gefallen. « Als ein Lächeln über de Ayalas Gesicht huschte, leuchteten seine Zähne in der Dunkelheit. » Alles, was von ihm übrig blieb, waren Stofffetzen. Nicht einmal Knochen «, flüsterte er.
»Homunculi haben keine Knochen«, erklärte Perenelle automatisch und überlegte dann laut: »Aber wer oder was hat die Spinnen dann hierhergebracht?«
De Ayala wandte sich dem Gefängnis zu. » Ich bin mir nicht sicher … «
»Ich dachte, du weißt alles, was man über die Insel wissen muss und kann?«, bemerkte Perenelle lächelnd.
» Tief unter dem Gefängnis gibt es eine Reihe unterirdischer Höhlen, die die Wellen aus dem Fels gewaschen haben. Ich glaube, dass die ersten Eingeborenen der Insel sie als Vorratskammern benutzt haben. Vor ungefähr einem Monat brachte der kleine Engländer – «
»Dee?«
» Ja, Dee. Er brachte mitten in der Nacht etwas auf die Insel. Es wurde in diese Höhlen geschafft und anschließend belegte er die gesamte Umgebung mit Abwehrzaubern und verstreute magische Symbole. Selbst ich kann den Schutzgürtel nicht durchbrechen. Aber ich bin mir ganz sicher, dass das, was die Spinnen auf die Insel gelockt hat, in diesen Höhlen eingeschlossen ist. «
»Kannst du mich zu den Höhlen bringen?«, fragte Perenelle drängend. Sie hörte das Rauschen Tausender Vogelschwingen immer näher kommen.
» Nein «, antwortete de Ayala barsch. » Auf dem Gang wimmelt es nur so von Spinnen, und wer weiß, welche anderen Fallen Dee sonst noch aufgestellt hat. «
Automatisch griff Perenelle nach dem Arm des Seemanns, doch ihre Hand ging glatt durch ihn hindurch und zog einen Wassertropfenwirbel hinter sich her. »Wenn Dee etwas in den verborgenen Verliesen von Alcatraz versteckt und es dann noch mit einem so mächtigen Zauber geschützt hat, dass nicht einmal ein körperloser Geist zu ihm vordringen kann, müssen wir unbedingt herausfinden, was es ist.« Sie lächelte. »Kennst du den Spruch nicht: ›Der Feind meines Feindes ist mein Freund‹?«
» Nein, aber ein anderer ist mir bekannt: ›Ein Dummkopf mischt sich ein, wo Engel vorsichtig abwarten‹. «
»Also, da hilft nun alles nichts! Komm – schnell, bevor die Morrigan da ist. Bring mich zurück ins Gefängnis.«
K APITEL V IERZIG
D as Schwert der Disir sirrte auf Joshs Kopf zu.
Es ging alles so rasant, dass er keine Zeit zum Angsthaben hatte. Er sah die schnelle Bewegung und reagierte instinktiv, riss Clarent nach oben und drehte das Schwert
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