Nicholas Flamel Bd. 2 Der dunkle Magier
Morgen offiziell nur noch ein bedauerlicher Unfall sein. Wer behauptet, er hätte ein Monster gesehen, wird ausgelacht und für hysterisch erklärt.«
Ungläubig schüttelte Sophie den Kopf. »So etwas kann man doch unmöglich totschweigen!«
»Die Älteren tun das seit Jahrtausenden«, sagte Saint-Germain und verstellte den Rückspiegel etwas, damit er Sophie anschauen konnte. Sie bildete sich ein, dass seine blauen Augen in dem dunklen Wagen leuchteten. »Und du darfst nicht vergessen, dass die Menschen nicht wirklich an Magie glauben wollen. Sie wollen gar nicht wissen, dass Legenden fast immer auf Wahrheit beruhen.«
Johanna legte ihre Hand leicht auf den Arm ihres Mannes. »In diesem Punkt bin ich anderer Meinung. Die Menschen haben immer an Magie geglaubt. Diesen Glauben haben sie erst in den letzten beiden Jahrhunderten verloren. Und ich bin überzeugt, dass sie im Grunde daran glauben wollen, weil sie tief im Inneren wissen, was wahr und richtig ist. Sie wissen, dass es Magie tatsächlich gibt.«
»Ich habe immer an Magie geglaubt«, sagte Sophie leise. Sie hatte sich wieder dem Fenster und der Stadt zugewandt, doch die Scheibe spiegelte ein in leuchtenden Farben gestrichenes Kinderzimmer wider – ihr Zimmer vor fünf, vielleicht auch sechs Jahren. Sie hatte keine Ahnung, wo es war – in dem Haus in Scottsdale vielleicht oder in Raleigh; in dieser Zeit waren sie so oft umgezogen. Sie saß auf ihrem Bett und rings um sie herum lagen ihre Lieblingsbücher. »Als ich kleiner war, habe ich Bücher über Prinzessinnen und Zauberer gelesen, über Ritter und Hexen. Obwohl ich wusste, dass es nur Geschichten waren, wollte ich immer, dass es Magie wirklich gibt. Bis jetzt«, fügte sie bitter hinzu. Sie drehte den Kopf und schaute Flamel an. »Sind alle Märchen wahr?«
»Nicht jedes Märchen, aber so ziemlich jede Legende hat einen wahren Kern. Jeder Mythos basiert auf einer wirklichen Begebenheit.«
»Auch die, die einem Angst machen?«, flüsterte sie.
»Die ganz besonders.«
Drei Nachrichtenhelikopter flogen in geringer Höhe über sie hinweg. Der Lärm der Rotoren ließ das Auto vibrieren. Flamel wartete, bis sie sich entfernt hatten, dann beugte er sich vor. »Wohin fahren wir?«
Saint-Germain wies mit der Hand geradeaus und ein kleines Stück nach rechts. »Im Trocadéro-Park gibt es einen geheimen Eingang zu den Katakomben, der direkt zu den verbotenen Gängen führt. Ich habe mir die alten Karten angeschaut. Dee wird wahrscheinlich über das Kanalsystem in die Katakomben hinuntersteigen. Über den Zugang im Park können wir den Weg etwas abkürzen.«
Nicholas Flamel lehnte sich wieder zurück, dann drückte er Sophies Hand. »Es wird alles gut«, sagte er.
Aber Sophie glaubte ihm nicht.
Der Einstieg zu den Katakomben war mit einem ganz gewöhnlichen Metallgitter abgedeckt, das in den Boden eingelassen war. Von Moos und Gras halb zugewachsen, war es an einem Ende des Trocadéro-Parks in einer Baumgruppe hinter einem wunderschön bemalten und mit vielen Schnitzereien verzierten Karussell verborgen. Wäre es ein normaler Tag gewesen, wäre der Park mit seinen herrlichen Gärten voller Touristen gewesen, doch an diesem Morgen war er leer, und die Holzpferde schwebten ohne Reiter unter ihrer blau-weiß gestreiften Markise auf und ab.
Saint-Germain ging über einen schmalen Weg zu einem Rasenstück, das von der Sommersonne braun verbrannt war. Vor dem unscheinbaren rechteckigen Metallgitter blieb er stehen. »Ich habe den Eingang seit 1941 nicht mehr benutzt.« Er kniete sich hin, packte die Gitterstangen und zog. Nichts rührte sich.
Johanna sah Sophie von der Seite her an. »Als Francis und ich in der französischen Widerstandsbewegung gegen die Deutschen gekämpft haben, hatten wir in den Katakomben unser Hauptquartier. So konnten wir ganz plötzlich überall in der Stadt auftauchen.« Sie tippte mit der Schuhspitze auf das Gitter. »Das war einer unserer Lieblingsausgänge. Selbst während des Krieges war der Park immer voller Leute und wir konnten uns, ohne aufzufallen, unter die Besucher mischen.«
Plötzlich roch es stark nach Herbst und verbrannten Blättern, und die Metallstangen in Saint-Germains Händen begannen, zuerst rot, dann weiß zu glühen. Das Metall schmolz und verflüssigte sich und dicke Tropfen fielen hinunter in den Schacht. Saint-Germain riss, was von dem Gitter noch übrig war, aus dem Boden und warf es beiseite. Dann stieg er in die Öffnung. »Es gibt eine Leiter hier
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