Nicholas Flamel Bd. 3 Die mächtige Zauberin
hob Sophie auf seine Arme und legte sie genau in dem Moment auf den Rücksitz des Taxis, in dem der Motor stotternd ansprang. Ein krank aussehender Nicholas Flamel fiel in den Wagen. Aus seinen Fingern flossen noch Rinnsale der grünen Energie, mit der er die Batterie aufgeladen hatte.
John Dee musste sich zur Seite werfen, als das Taxi, sämtliche Türen weit offen, durch die schmale Gasse brauste und Pfeile und Speere unter den Rädern zermalmte. Der Magier versuchte verzweifelt, sich zu konzentrieren und genügend Energie zusammenzuziehen, um den Wagen aufzuhalten, doch er war körperlich und geistig am Ende. Mühsam rappelte er sich auf und sah, wie der Archon sich auf den Boden fallen ließ und sich in dem klebrigen Schlamm wälzte, um die Flammen zu ersticken, die aus seinen Fellkleidern schlugen. Weniger als eine Handvoll der Wilden Jagd hatten den Angriff überlebt, und zwei davon lösten sich in Staub auf, als Cernunnos versehentlich über sie wegrollte.
Mit metallischem Kreischen und Funkenfontänen, die von den Kotflügeln und offenen Türen aufspritzten, schrammte das schwarze Taxi durch das aufgerissene Tor, kam auf der nassen Straße kurz ins Schleudern und brauste schließlich in die Nacht hinaus. Bremslichter leuchteten rot auf, dann bog der Wagen um eine Ecke und war verschwunden.
Bastet stand in einer dunklen Ecke, wo keiner sie sehen konnte. Sie zog ein schmales Handy aus der Tasche und drückte auf eine Kurzwahltaste. Ihr Anruf wurde nach dem ersten Läuten angenommen. »Dee ist gescheitert«, sagte sie knapp und beendete das Gespräch.
K APITEL V IERZIG
S ophie wachte auf, als das Taxi über eine Bodenschwelle holperte. Sie war vollkommen orientierungslos, und es dauerte ein paar Augenblicke, bis sie den Kopf freihatte von dem, was sie zunächst für Traumfetzen hielt, was sich dann jedoch als Erinnerungen herausstellte. Sie hatte immer noch Cernunnos’ Schrei im Ohr und einen Moment lang tat er ihr tatsächlich leid. Langsam und steif setzte sie sich auf und sah sich um. Josh hockte zusammengekauert auf dem Sitz neben ihr und atmete schwer. Sein Gesicht war schwarz von Ruß und geschwollen von dem Funkenregen, der auf ihn niedergegangen war. Nicholas Flamel lehnte am Fenster und blickte hinaus in die Nacht. Als er hörte, dass sie sich bewegte, drehte er den Kopf. In seinen müden Augen spiegelten sich die Lichter der Stadt.
»Ich hatte gehofft, du würdest ein wenig länger schlafen«, sagte er.
»Wo sind wir?«, erkundigte sie sich mit schwerer Zunge. Ihr Mund und die Lippen waren trocken, und sie bildete sich ein, sie könne den körnigen Staub der Wilden Jagd auf der Zunge spüren.
Flamel reichte ihr eine Flasche Wasser hinüber. »Wir sind in Millbank.« Er tippte mit dem Finger an die Scheibe und sie sah hinaus. »Eben sind wir am Parlament vorbeigefahren.«
Durch das Rückfenster sah Sophie noch das spektakulär erleuchtete britische Parlamentsgebäude. Die Lichter verliehen ihm ein warmes, fast unwirkliches Aussehen.
»Wie geht es dir?«, fragte Flamel.
»Ich bin fix und fertig«, erwiderte sie.
»Nach dem, was du gerade getan hast, wundert mich das nicht. Du weißt schon, dass das, was du heute vollbracht hast, einzigartig in der Geschichte der Menschheit ist? Du hast einen Archon besiegt.«
Sie nahm noch einen Schluck Wasser. »Habe ich ihn umgebracht?«
»Nein«, antwortete Flamel, und Sophie war insgeheim erleichtert. »Obwohl ich behaupten möchte, dass du auch das kannst, sobald deine Ausbildung abgeschlossen ist …« Der Alchemyst machte eine kurze Pause und fügte dann hinzu: »Wenn ihr erst richtig ausgebildet seid, glaube ich nicht, dass es etwas gibt, dass ihr – du und dein Bruder – nicht könnt.«
»Nicholas«, begann Sophie. Eine plötzliche Traurigkeit hatte sie erfasst. »Ich möchte nicht weiter ausgebildet werden. Ich möchte einfach nur nach Hause. Ich habe genug von all dem, von der Rennerei und den Kämpfen. Ich habe genug von der Übelkeit und den ständigen Kopfschmerzen, den schmerzenden Augen und Ohren und dem Knoten in meinem Bauch.« Sie merkte, dass sie den Tränen nah war, und rieb sich mit den Händen übers Gesicht. Sie wollte jetzt nicht weinen. »Wann können wir nach Hause gehen?«
Es entstand eine lange Pause, und als Flamel endlich antwortete, sprach er mit einem deutlichen französischen Akzent. »Ich hoffe, dass ich euch bald nach Amerika zurückbringen kann – vielleicht morgen schon. Aber nach Hause könnt ihr nicht. Noch
Weitere Kostenlose Bücher