Nicholas Flamel Bd. 3 Die mächtige Zauberin
Körpergeruch, der von ihm ausging, machte die großartige Geste leider wieder zunichte. »Bitte nennt mich Will.«
Sophie war sich nicht sicher, wie sie reagieren sollte. »Ich habe noch nie einen berühmten Menschen getroffen …«, begann sie – und hielt inne, als ihr klar wurde, was sie da sagte.
Shakespeare richtete sich wieder auf. Josh hustete und wich mit tränenden Augen zurück.
»Du hast Nicholas und Perenelle Flamel getroffen«, sagte Shakespeare in seinem gestochenen Englisch. »Dr. John Dee, den Grafen von Saint-Germain und natürlich Niccolò Machiavelli. Und zweifellos bist du auch der charmanten Johanna von Orléans begegnet.«
»Stimmt«, erwiderte Sophie und lächelte. »Die kennen wir inzwischen alle. Aber keiner ist so berühmt wie du.«
William Shakespeare überlegte einen Augenblick, dann nickte er. »Machiavelli und ganz besonders Dee würden sicher widersprechen, aber du hast natürlich recht. Keiner von ihnen hat mein …« Er hielt kurz inne. »… mein Profil. Mein Werk wurde überall verbreitet und wird immer noch gelesen, wogegen ihres nicht annähernd so populär ist.«
»Und du warst wirklich Dees Diener?«, fragte Josh unvermittelt. Das war die Gelegenheit, ein paar Antworten zu erhalten.
Shakespeares Lächeln erlosch. »Ich habe zwanzig Jahre in Dee Diensten zugebracht.«
»Warum?«, wollte Josh wissen.
»Hast du ihn je persönlich kennengelernt?«, fragte Shakespeare zurück.
Josh nickte.
»Dann weißt du auch, dass Dee der gefährlichste Feind ist, den man haben kann. Er glaubt, dass alles, was er tut, richtig ist.«
»Das sagt Palamedes auch«, murmelte Josh.
»Und es stimmt. Dee ist ein Lügner, aber ich habe begriffen, dass er die Lügen glaubt , die er erzählt. Weil er sie glauben will, glauben muss .«
Ein kurzer Regenschauer ging über dem Schrottplatz nieder. Dicke Tropfen prallten von den rostigen Autos ab.
»Aber hat er recht?«, fragte Josh und zog den Kopf ein. Er ergriff Shakespeares Arm, um den Dichter in den Schutz der Hütte zu ziehen, und augenblicklich leuchtete Joshs Aura in einem kräftigen Orangeton auf, während ein blasses Gelb Shakespeare einrahmte. Orangen- und Zitronenduft vermischten sich und eigentlich hätte das Ergebnis angenehm sein sollen. Doch es roch säuerlich und nach Shakespeares Körperausdünstungen.
Dee, jünger, das Gesicht ohne Falten, Haar und Bart dunkel, blickt auf eine riesige Kristallkugel. An seiner Seite ein junger, staunender William Shakespeare.
Bilder in der Kristallkugel …
Üppig grüne Felder …
Obstbäume, deren Äste sich unter der Last der Früchte biegen …
Seen, in denen es von Fischen nur so wimmelt …
»Moment – du bist der Ansicht, Dee sollte die Erstgewesenen in unsere Welt zurückbringen?«
William Shakespeare ging zur Treppe. »Ja«, sagte er, ohne sich umzudrehen. »Meine eigenen Nachforschungen haben dazu geführt, dass ich es für die richtige Entscheidung halte.«
»Warum?«, fragten die Zwillinge wie aus einem Mund.
Jetzt drehte der Dichter sich zu ihnen um. »Die meisten Erstgewesenen haben sich aus dieser Welt zurückgezogen. Die nächste Generation spielt mit den Humani und benutzt die Menschenwelt als Spielwiese und Schlachtfeld zugleich. Aber die Gefährlichsten von allen sind wir Humani. Wir zerstören die Welt. Ich bin überzeugt, dass wir die Dunklen Erstgewesenen brauchen. Sie müssen zurückkommen, damit sie uns vor unserer eigenen Zerstörungswut retten können.«
Sprachlos sahen die Zwillinge sich an. Sie wussten nicht mehr, was sie denken sollten. Josh fasste sich als Erster. »Aber Flamel hat gesagt, die Dunklen des Älteren Geschlechts wollen die Menschen als Nahrung haben.«
»Einige ja. Aber nicht alle Älteren essen Fleisch. Es gibt auch welche, die sich von Erinnerungen und Emotionen ernähren. Mir scheint das ein geringer Preis für ein Paradies ohne Hunger und Krankheit zu sein.«
»Warum brauchen wir dazu die Dunklen Erstgewesenen?«, fragte Sophie. »Der Alchemyst, Dee und die anderen, die sind wie sie, müssten zusammen doch genügend Macht und Wissen haben, um die Welt zu retten, oder?«
»Das glaube ich nicht.«
»Aber Dee ist sehr mächtig …«, begann Josh.
»Du kannst mich nichts über Dee fragen. Ich habe, was ihn betrifft, keine Antworten.«
»Du hast zwanzig Jahre bei ihm gelebt. Du musst ihn besser kennen als sonst jemand auf der Welt«, protestierte Sophie.
»Den Magier kennt niemand wirklich. Ich habe ihn geliebt wie einen Vater, wie
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