Nicholas Flamel Bd. 3 Die mächtige Zauberin
ist.«
»Im Moment«, sagte Josh und konzentrierte sich auf seine Stimme, damit sie ruhig blieb und nicht zitterte, »hat so ziemlich alles, was passiert, mit uns zu tun.« Er sah Flamel direkt an. »Wegen dir sind wir fast gestorben. Wegen dir hat sich unser gesamtes Leben verändert, und zwar unwiderruflich … Und wenn ihr beide ein Problem habt, ist es auch unser Problem, und wir müssen wissen, worum es geht.«
Sophie legte die Hand auf Joshs Schulter und drückte sie, um ihm zu signalisieren, dass sie ihn voll unterstützte.
Palamedes grinste. »Der Junge hat Schneid. Das gefällt mir.«
Flamels Miene war ausdruckslos, doch seine hellen Augen waren überschattet. Eine Ader pulsierte an seiner Schläfe. Er verschränkte die Arme vor der Brust und nickte Palamedes zu. »Wenn ihr es denn wissen müsst: Ich habe kein Problem mit dem sarazenischen Ritter.« Er wies mit dem Kopf auf Shakespeare, der vor dem offenen Kühlschrank stand und Tüten mit Obst herauszog. »Ich habe ein Problem mit diesem Herrn. Und zwar ein großes.«
Shakespeare ignorierte ihn. »Was wollt ihr essen?«, fragte er die Zwillinge. »Ich weiß, dass ihr kein Fleisch wollt, aber wir haben jede Menge Obst, heute Morgen frisch gekauft. Und Palamedes hat vom Fischmarkt in Billingsgate schönen Fisch mitgebracht.« Er schüttete den Inhalt mehrerer Obsttüten in die Spüle und drehte den Wasserhahn voll auf.
»Nur Obst«, sagte Sophie.
Palamedes sah die Zwillinge an. »Die Auseinandersetzung hat wirklich nichts mit euch zu tun. Ihr Ursprung liegt Hunderte von Jahren zurück. Aber ich gebe zu, dass ihr davon betroffen seid. Wir alle sind es.« Er wandte sich wieder an Flamel. »Wenn wir überleben wollen, müssen wir – und zwar wir alle – alte Streitigkeiten beilegen, alte Gewohnheiten abstreifen. Aber ich schlage vor, wir diskutieren nach dem Essen weiter.«
»Wir wollen jetzt Antworten haben«, sagte Josh. »Wir haben es satt, wie kleine Kinder behandelt zu werden.«
Der Ritter verneigte sich und sah den Alchemysten an. »Sie haben ein Recht auf Antworten.«
Nicholas Flamel rieb sich mit den Händen übers Gesicht. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen und die Falten auf seiner Stirn hatten sich noch tiefer eingegraben. Sophie fiel auf, dass sich auf seinen Handrücken dunkle Flecken gebildet hatten. Flamel hatte ihnen gesagt, dass er mit jedem Tag, der verging, ein Jahr älter würde, aber sie fand, dass er mindestens zehn Jahre älter aussah als noch vor einer Woche. »Bevor wir die Sache vertiefen«, sagte Flamel, und wie immer wenn er müde war, kam sein französischer Akzent deutlicher heraus, »gebe ich zu, dass es mir unangenehm ist, irgendetwas in Gegenwart dieses …« Er hob den Kopf und sah Shakespeare an. »… dieses Mannes zu diskutieren.«
»Aber warum?«, fragte Sophie. Sie zog sich einen Holzstuhl heran und ließ sich darauf fallen.
Josh nahm sich den Stuhl daneben. Der Ritter blieb noch einen Augenblick stehen, dann setzte auch er sich. Nur Flamel und Shakespeare standen jetzt noch.
»Er hat Perenelle und mich verraten«, fauchte Flamel. »Er hat uns an Dee verraten.«
Die Zwillinge drehten sich zu dem Dichter um, der Trauben, Äpfel, Birnen und Kirschen auf Tellern anrichtete. »So weit stimmt es«, sagte er.
»Er war schuld, dass Perenelle verwundet wurde und fast gestorben wäre«, fuhr Flamel fort.
Die Zwillinge sahen wieder den Dichter an. Der nickte. »Es war 1576«, sagte er leise und sah von der Anrichte auf. Die Brillengläser vergrößerten seine hellen blauen Augen, in denen unvergossene Tränen glänzten.
Josh lehnte sich verblüfft zurück. »Ihr streitet euch wegen etwas, das vor vierhundert Jahren passiert ist?«, fragte er ungläubig.
Shakespeare wandte sich jetzt direkt an Sophie und Josh. »Ich war erst zwölf Jahre alt, jünger als ihr jetzt. Ich habe einen Fehler gemacht – einen schrecklichen Fehler – und ich habe jahrhundertelang dafür bezahlt.« Er sah zu Flamel hinüber. »Ich war Gehilfe des Alchemysten. Er hatte einen kleinen Buchladen in Stratford, wo ich aufgewachsen bin.«
Josh drehte sich zu Nicholas um.
»Er hat mich nicht gut behandelt.«
Flamel hob rasch den Kopf und wollte etwas erwidern, doch Shakespeare ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Ich war nicht ungebildet. Ich hatte die Lateinschule besucht und konnte Englisch, Latein und Griechisch lesen und schreiben. Obwohl ich noch so jung war, wusste ich damals schon, dass ich Schriftsteller werden wollte, und habe
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