Nicholas Flamel Bd. 4 Der unheimliche Geisterrufer
oder fünf Jahrhunderten begegnet sind.«
»War Aoife schuld an Cuck … Cuch …«
»Cuchulain.«
»An seinem Tod?«, fragte Josh.
»Sie trifft genauso viel Schuld wie Scathach. Hätten sie an seiner Seite gekämpft, wäre er nicht gestorben.«
Flamel hatte das untere Ende der Leiter erreicht und Perenelle und Josh halfen ihm die letzten Sprossen herunter. Sein Atem ging stoßweiße und er lehnte sich an die Mauer. Mit einem Mal wurde Josh bewusst, dass der Alchemyst ein alter Mann geworden war. Er betrachtete Flamel genauer: Es war nicht zu übersehen, wie sehr die Ereignisse der vergangenen Woche den Mann hatten altern lassen. Das kurz geschorene Haar war nun fast weiß und in seine Stirn und die Wangen hatten sich tiefe Falten eingegraben. Auf seinen Handrücken traten die Venen hervor und waren Altersflecken zu sehen. Josh drehte sich zu der Zauberin um. Auch sie war gealtert, wenn auch nicht ganz so dramatisch wie ihr Mann.
Perenelle bemerkte, dass er sie anstarrte, und ihr Lächeln wurde wehmütig. Sie streckte die Hand aus und drückte Josh den Zeigefinger auf die Brust. Unter seinem T-Shirt knisterte Papier. »Wir werden in wenigen Tagen an Altersschwäche sterben, es sei denn, wir finden den Codex und können den Unsterblichkeitszauber erneuern.« Ihre grünen Augen füllten sich mit Tränen. »Zuerst Nicholas, dann ich.«
Josh spürte einen Kloß im Hals. Obwohl er Flamel nicht traute und nicht genau wusste, was er von Perenelle halten sollte, löste der Gedanke, dass sie sterben könnten, Panik in ihm aus. Er und Sophie brauchten die Flamels.
»Wir müssen unbedingt an Abrahams Buch der Magie kommen«, wiederholte Perenelle.
»Den Codex hat Dee«, erwiderte Josh. »Aber wahrscheinlich hat er ihn inzwischen schon an seine Gebieter weitergegeben. «
Flamel schüttelte den Kopf. »Dazu hatte er, glaube ich, noch gar keine Zeit. Es ging doch alles so schnell.« Er reichte Josh das mit Schnitzereien verzierte Holzkästchen. »Würdest du das bitte für mich tragen?«
Josh war überrascht, wie schwer es war.
»Überlege doch: Der Magier war von dem Augenblick an, als er den Codex letzte Woche an sich riss, immer dicht hinter uns. Ich bezweifle, dass er Zeit gefunden hat, ihn seinen Gebietern aus dem Älteren Geschlecht zu geben. Und ich halte es für unwahrscheinlich, dass er ihn in seinem Handgepäck mit nach England genommen hat. Die Logik sagt mir, dass der Codex immer noch hier in San Francisco ist.«
»Wo?«, fragte Josh rasch. »Vielleicht können wir ihn zurückstehlen …« Er hielt inne, da sowohl Perenelle als auch Nicholas den Kopf schüttelten.
»Selbst wenn wir wüssten, wo er ist«, meinte die Zauberin, »möchte ich wetten, dass nicht nur menschliche Wächter ihn bewachen. Außerdem« – sie klopfte auf das Kästchen, das Josh trug – »gibt es Wichtigeres zu tun.«
»Wir müssen deine Schwester finden«, sagte Flamel.
»Und die Kreaturen auf Alcatraz vernichten«, fügte Perenelle hinzu.
Josh blickte beide erschrocken an. »Aber wie wollt ihr das denn machen? Verbraucht das nicht alle eure Kräfte und macht euch noch älter? Bringt euch womöglich um?«
»Stimmt«, antworteten Nicholas und Perenelle gleichzeitig.
»Aber wir sind bereit, den Preis zu zahlen«, erklärte Perenelle.
KAPITEL ZWANZIG
S ophie war wieder bei Bewusstsein, doch sie rührte sich nicht und hielt die Augen geschlossen. Sie konzentrierte sich auf ihre erweckten Sinne und versuchte anhand der Geräusche, Gerüche und sonstigen Eindrücke, die auf sie einströmten, vor ihrem geistigen Auge ein Bild ihrer Umgebung zu entwerfen. Die Luft war salzhaltig, was in San Francisco nichts Ungewöhnliches war. Doch dieser Geruch war bitter und leicht säuerlich, so als befände sie sich in unmittelbarer Nähe des Meeres. In der salzigen Luft lag außerdem noch der schwache Geruch von Dieselkraftstoff, was nahelegte, dass sie eventuell in einem Hafen war. Merkwürdigerweise war die warme, stickige Luft erfüllt vom Geruch nach Holz und einer Ahnung von Gewürzen. Noch bevor sie die leicht schaukelnde Bewegung wahrnahm und das leise Klatschen von Wasser auf Holz, wusste sie, dass sie sich auf einem Boot befand. Sie lag irgendwo, nicht auf einem Bett, aber auf etwas Weichem, das sie eng umschloss und Kopf und Füße in einer erhöhten Position hielt.
»Ich weiß, dass du wach bist.«
Beim Klang der Stimme öffnete Sophie die Augen. Scathach!
Der rote Haarschopf war der einzige Farbklecks in dem dunklen Raum, und
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