Nicholas Flamel Bd. 4 Der unheimliche Geisterrufer
färbten den Himmel im Süden orangerot.
»Wo ist der Ältere?«, fragte sie leise, ohne sich umzudrehen.
»Ich weiß es nicht. Ich habe ihn nicht gesehen. Ich habe überhaupt niemanden gesehen, seit du ohnmächtig geworden bist oder kollabiert oder was auch immer. Der Wagen ist nicht mehr angesprungen, deshalb hat Prometheus dich hier heraufgetragen. Als wir ankamen, hat er nur noch ›Lass sie schlafen‹, gesagt, und: ›Wenn sie aufwacht, ist sie wieder fit.‹ Dann ist er gegangen.« Josh zuckte mit den Schultern. »Ich habe jetzt vier Stunden lang hier gesessen und darauf gewartet, dass du aufwachst.« Er schwieg kurz und fügte dann hinzu: »Ich bin am Verhungern.«
»Du hast immer Hunger.«
»Du etwa nicht?«
Sophie überlegte einen Augenblick. »Nein, nicht wirklich.« Sie wusste, dass auch sie Hunger haben sollte – sie hatte den ganzen Tag nichts gegessen außer dem Obst, das Aoife ihr auf dem Hausboot gebracht hatte. Doch aus irgendeinem Grund ging es ihr gut. »Wir müssen nicht hierbleiben«, sagte sie, »wir können sie suchen gehen.«
»Das hier ist ein Schattenreich«, erinnerte Josh sie. »Die Tonleute sind irgendwo unterwegs, und ich mache jede Wette, dass noch andere Wächter herumstreunen.«
»Wo sind die anderen dann alle?« Sophie hatte noch nicht ausgeredet, da tauchten zwei Gestalten aus der Dunkelheit auf. Als sie näher kamen, erkannte sie, dass es sich um Nicholas und Perenelle Flamel handelte, die Arm in Arm langsam auf die Hütte zukamen. »Wir bekommen Besuch«, sagte sie leise.
Josh kam heraus und stellte sich neben seine Schwester auf die Terrasse. »Er sieht älter aus«, sagte er. »Jedenfalls älter als Perenelle, das steht fest.«
»Und dabei ist sie zehn Jahre älter als er«, bemerkte Sophie.
»Warum altert sie nicht genauso schnell wie er?«
»Vielleicht hat sie ihre Aura nicht so häufig eingesetzt«, vermutete Sophie.
Josh schüttelte den Kopf. »Das kann fast nicht sein! Auf Alcatraz hat sie ihre Kräfte bestimmt gebraucht.«
Fast so, als hätte sie seinen Blick gespürt, hob Perenelle den Kopf und blickte Josh an. Im hellen Oval ihres Gesichtes erschienen ihre Augen wie dunkle Flecke. Sie lächelte, doch das Lächeln wirkte gezwungen. »Du bist ja wach«, rief sie Sophie zu. Dann wandte sie sich an Josh. »Und du hast bestimmt Hunger.«
»Wie ein Bär«, erwiderte er locker. »Ich nehme nicht an, dass ihr etwas zu futtern mitgebracht habt, oder?«
»Zu essen gibt es jede Menge, aber noch kannst du nichts davon haben«, antwortete Perenelle. Sie war jetzt nahe genug, dass die Tischlampe in der Hütte einen gelben Schimmer auf ihr Gesicht warf und das Weiße in ihren Augen zitronengelb färbte. »Prometheus hat sich bereit erklärt, dich in Feuermagie auszubilden.«
Josh blinzelte überrascht. »Ich lerne jetzt Feuermagie?«
»Ja«, antwortete Flamel, »jetzt gleich. Es ist eine gute Ergänzung zur Wassermagie.«
Joshs Magen knurrte. »Können wir nicht bis nach dem Abendessen damit warten?«
Flamel sah Josh prüfend an. »Mit vollem Magen einen Zweig der Elemente-Magie lernen zu wollen, ist keine gute Idee.«
»Aber Saint-Germain hat Sophie nach dem Abendessen in Feuermagie unterrichtet«, erinnerte Josh ihn bockig. Mochte ja sein, dass seine Schwester nichts zu essen brauchte, aber er hatte den ganzen Tag über nichts gehabt.
Perenelles Lächeln verschwand und ihre Miene wurde hart. »Du bist nicht deine Schwester. Sie ist unendlich viel mächtiger, als du es je sein wirst, Josh. Sie kann Dinge vollbringen, die für dich unmöglich sind.«
»Du hast natürlich deine ganz speziellen Fähigkeiten«, versicherte Flamel Josh hastig und warf seiner Frau einen missbilligenden Blick zu.
Josh schaute die beiden verwirrt an. Was sie gerade gesagt hatten, kam überraschend für ihn. »Ich dachte, wir seien gleich«, meinte er schließlich.
Perenelle wollte anscheinend etwas darauf erwidern, doch Josh sah, wie Flamel nach ihrer Hand griff, sie drückte und seine Frau ohne Worte bat, lieber zu schweigen. »Ihr seid Zwillinge«, erklärte er, »aber gleich wart ihr deshalb noch nie. Jeder von euch hat seine Stärken und Schwächen. Es ist die Kombination eurer Kräfte, die Tatsache, dass die Stärke des einen die Schwäche des anderen ausgleicht, die euch zu etwas so Besonderem macht.«
»Die zwei, die eins sind, und das Eine, das alles ist«, fügte Perenelle hinzu.
Flamel sah Josh an, doch seine hellen Augen wirkten etwas verschleiert. »Du könntest jetzt
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