Nicht den Ängsten folgen, den Mut wählen: Denkstationen eines Bürgers (German Edition)
Mensch mit Selbstvertrauen Fortschritte machen und Erfolge haben. Dies gilt für einen Menschen wie für ein Land, so Gandhi.
Ob wir den Kindern und Enkeln dieses Landes Geld oder Gut vererben werden, das wissen wir nicht. Aber dass es möglich ist, nicht den Ängsten zu folgen, sondern den Mut zu wählen, davon haben wir nicht nur geträumt, sondern das haben wir gelebt und gezeigt. Gott und den Menschen sei Dank: Dieses Erbe dürfen sie erwarten.
57 Ansprache nach der Vereidigung zum Bundespräsidenten, abgedruckt in: in Joachim Gauck, Reden und Interviews, Band I, hg. vom Bundespräsidialamt, S. 21–32.
Wir müssen sehen lernen, was ist
Dankesrede bei der Verleihung des Ludwig-Börne-Preises 2011,
Frankfurt am Main, 21. Februar 2012 58
Dank soll das erste Wort sein in dieser Rede.
Ich bin dankbar, weil ich durch diese Preisverleihung Ludwig Börne begegnet bin. Mir ging es wie vielen: Ich hatte nur ein vages Wissen über seinen Konflikt mit Heinrich Heine. Und dann diese Überraschung: ein Liebhaber der Freiheit, scharfer Analysen und furchtloser Urteile fähig. Den Künsten verbunden, ohne in einer Künstlerexistenz aufzugehen. Ein publizistischer Agent der Freiheit, der diese mehr liebte als seine Heimat. Der französische Freiheit nahm, als die deutschen Staaten ihr noch kein Bleiberecht gewährten. Gebildet, geerdet im politischen Raum, wenn er den großen Erlösungsmodellen misstraute und stattdessen das Machbare benannte. Vom Parlament zu reden, von Bürgerfreiheiten, Zensur Zensur zu nennen – das lag ihm. Er war radikal, wenn es um die erwünschte Freiheit ging, und dann, kämpfend und leidend all die Begrenzungen des Vormärz sehend, hat er die Augen zu früh für immer schließen müssen, bevor die Freiheit siegt und Demokratie wird.
Wie schade, dass ich ihm nicht früher begegnet bin!
Vielleicht hätte ich früher die Kunst der Wahrnehmung eingeübt. Seinen scharfen Blick auf die Wirklichkeit übernommen, der nicht den Interpretamenten der Herrschenden folgt, wenn er deutet, was ihn umgibt. Vielleicht hätte ich Ohnmacht früher als Ohnmacht bezeichnet und die staatsmarxistischen Dogmen, die das Ungereimte reimen sollten, früher als Masken erkannt. Vielleicht hätte ich das uralte Spiel, in dem die perpetuierte Macht der wenigen perpetuierte Ohnmacht der vielen erzeugt, als Wiederkehr eines alten Prinzips erkennen und geißeln können, statt es als Geburtswehe eines neuen Lebensprinzips zu missdeuten.
Beim Lesen von Ludwig Börne bin ich wieder daran erinnert worden, wie wenig selbstverständlich unverblendete Wahrnehmung ist. Ich bin auch an die Erkenntnis Immanuel Kants erinnert worden, dass es oft nicht an einem Mangel des Verstandes liegt, wenn wir in selbst verschuldeter Unmündigkeit verharren, sondern dass uns der Mut fehlt, uns dieses Verstandes zu bedienen.
Ich komme direkt vom Evangelischen Kirchentag, also von einer Begegnung mit Menschen, denen das Wohl der Gesellschaft, der Erde, ein großes Anliegen ist. Es ist gut, unter guten Menschen das Gute zu loben, das Übel zu benennen und die Visionen einer gerechten Welt zu beschwören. Gleichzeitig bringe ich aber auch eine Erfahrung mit, die mich verstört. Es ist die Sicherheit einiger dieser Menschen, dass wir das Bessere tun, wenn wir uns aus den Konflikten dieser Zeit heraushalten, niemals ein kleineres Übel in Kauf nehmen, um ein größeres Übel zu verhindern – etwa wenn wir uns aus militärischen Aktionen bei humanitären Einsätzen heraushalten, selbst wenn sie von den Vereinten Nationen gedeckt sind.
Diesen Menschen liegt die Vision einer versöhnten und friedlichen Welt selbstverständlich am Herzen. Aber wenn ich als Beispiel einmal das populäre Diktum einer populären Protestantin herausgreife »Nichts ist gut in Afghanistan«, dann stellt sich mir die Frage, zu welchen Maßnahmen müssten engagierte Demokraten denn greifen, damit »alles gut« wäre in Afghanistan? Die Taliban werden sich weder durch gute Ratschläge noch durch Gebete von Mord und Anschlägen abhalten lassen. Gut ist alles nur im Paradies. Dort, wo wir leben, haben wir es mit begrenzten, fehlerhaften, auch terroristischen Menschen und despotischen Systemen zu tun. Dort, wo wir leben, wird nicht das Endgültige, nicht das Paradiesische gestaltet, sondern das Machbare und das weniger Schlechte.
Hier stoßen wir auf den Unterschied zwischen Politik und romantischer Sehnsucht oder prophetischer Verheißung. Prophetie und Kunst haben uns Menschen
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