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Nicht den Ängsten folgen, den Mut wählen: Denkstationen eines Bürgers (German Edition)

Nicht den Ängsten folgen, den Mut wählen: Denkstationen eines Bürgers (German Edition)

Titel: Nicht den Ängsten folgen, den Mut wählen: Denkstationen eines Bürgers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Gauck
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des Rechts, für das, was unsere Kultur seit Längerem bestimmt und wonach sich die Unterdrückten in allen Teilen der Welt sehnen. Für diese Einsätze dieselben Vokabeln und Emotionen aufzurufen wie im Fall der kolonialen und imperialen Kriege von einst, halte ich für intellektuell unredlich und politisch falsch und möchte fragen: Warum fehlt der Mut, sich hier des differenzierenden Verstandes zu bedienen? Wovor besteht Angst?
    Sicher sind unter der Flagge der humanitären Einsätze manchmal auch aggressive oder nationale ökonomische Interessen verborgen. Umstritten war von Anfang an der Irak-Krieg. Umso wichtiger ist die sorgfältige Prüfung der Beweggründe für einen militärischen Einsatz und seine Legitimierung durch den Sicherheitsrat.
    Es ist ganz sicher auch etwas anderes, ob wir von außen kommen und einen Umsturz primär mit internationalen Soldaten herbeiführen – wie beim Irak-Krieg – oder ob wir auf Bitten von Unterdrückten teilnehmen an einem Kampf, der primär ihr Kampf ist gegen die eigene despotische Herrschaft wie jetzt in Libyen (wo sich die deutsche Regierung leider entzogen hat). Beim Zusammenbruch des Kommunismus haben die osteuropäischen Gesellschaften die Freiheit allein für sich errungen; die Sowjetmacht war zu geschwächt, um mit militärischen Interventionen wie 1956 in Budapest oder 1968 in Prag die oppositionellen demokratischen Bewegungen zu ersticken. In anderen Fällen aber, in denen die Despoten nicht kampflos abtreten, kann eine militärische Unterstützung der Unterdrückten größeres Blutvergießen verhindern. Dass auch die Seite der Aufbegehrenden in diesem Kampf nicht schuldlos bleibt, dass unter Umständen Unschuldige getötet werden und sich unter den Aufständischen auch Fundamentalisten, Freischärler, Bandenmitglieder, Kriminelle oder regionale Warlords befinden können, macht die Sache politisch und vor allem moralisch sehr kompliziert. Diese Tatsache jedoch als Vorwand für Enthaltung zu nehmen, halte ich nicht für besser.
    Wir können tatsächlich nicht vorausahnen, was aus den arabischen Revolutionen folgen wird. Ob Fundamentalisten, andere Herrscherfamilien oder tatsächlich mehr oder weniger demokratisch gesinnte Menschen schließlich den Sieg davontragen werden. Aber es ist an und für sich ein Wert, den Menschen zu helfen, Schritte in eine Richtung zu gehen, die ihnen die Gewinnung von Autonomie verspricht. Wie die Gesellschaften diese Autonomie anwenden und im innergesellschaftlichen Diskurs Freiheit gestalten können, lässt sich nicht absehen. Doch jede Gesellschaft hat verschiedene, teilweise turbulente Phasen durchlaufen müssen, in denen ihre Bürger die Existenz als Citoyen erst lernen mussten und ein pluraler politischer Raum geschaffen werden konnte. Freiheit lässt sich nicht ohne Risiko erlangen.
    Wenn wir also einen erkennbaren Zugewinn an Menschen- und Bürgerrechten und an Freiheit unterstützen können, sollten wir das tun und uns nicht von den Äußerungen jener beeinflussen lassen, die meinen, dass die Befürwortung der Menschenrechte und der Kampf für ihre weltweite Durchsetzung einen imperialen Gestus hätten. Wir müssen uns genau anschauen, wer dem Westen Arroganz und imperiales Verhalten vorwirft. Ich würde solche Vorhaltungen sehr ernst nehmen, wenn sie von den Unterdrückten vorgetragen werden, von Menschrechtsaktivisten in den autoritären Staaten, aber nicht, wenn jene unsere westliche Kultur denunzieren, die ihren eigenen Bürgern nur einen Bruchteil jener Freiheiten zugestehen, die in den westlichen Demokratien eine Selbstverständlichkeit sind. Die Despoten und Diktatoren dieser Welt schützen nur sich und das Unrecht, das Mittelalter gegen den Fortschritt.
    Für uns, die Oppositionellen in der DDR, wirkte der Westen nicht deshalb wie das Land der Verheißung, weil sein System perfekt war – dazu hatte uns die Propaganda wohl zu stark mit den Berichten über die Arbeitslosigkeit und den angeblichen Militarismus und Revanchismus gefüttert –, sondern weil es elementaren Rechten der Menschen mehr Raum gibt, als andere Kulturen es je getan haben, und weil es Raum gibt für Kritik und Korrekturen. Aus demselben Grund orientieren sich jetzt die Liberalen und Menschenrechtler in den arabischen Ländern an der westlichen Welt.
    Es ist die Würde des Menschen, es sind die unveräußerlichen Menschen- und Freiheitsrechte, die Bürgerrechte, und es ist die Herrschaft des Rechts, die ein Kulturgut der Europäer geworden sind, das

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