Nicht die Bohne!
realistisch genug, um einzukalkulieren, dass ihr Gatte sich bei 4780 Kilometern Entfernung beim spontan eintretenden Geburtsereignis wohl verspäten wird, und hat ihre Mutter als Geburtsbegleiterin auserkoren.
Und ich habe ja jetzt auch wieder einen. Also, einen Mann. Den ich natürlich unter keinen Umständen mit in den Kreißsaal nehmen werde. Uahhh. Unvorstellbare Vorstellung. Wir sind ja noch mitten in der Phase des Kennenlernens, da möchte man sich doch irgendwie von seiner besten Seite präsentieren und nicht laut kreischend und hysterisch. Ganz zu schweigen von anderen Einblicken, die man dem neuen Partner wohl besser erspart. Aber er hat es angeboten. Was ich ihm hoch anrechne.
Wir folgen Magdalena, deren grüne Plastikschuhe kleine Quietschgeräusche auf dem Linoleumboden von sich geben, im Rudel durch das Klinikum. Die Stimmung ist leicht angespannt. Schließlich sammeln wir uns vor einer weißen Tür, auf der in roten Lettern das Wort »Kreißsaal« geschrieben steht. Magdalena drückt auf einen Klingelknopf, und mit einem leisen Summen springt die Tür ein Stück weit auf. Im Gänsemarsch geht es weiter, wobei ich jetzt Michaela leicht hinter mir herziehen muss. Ganz offensichtlich würde sie lieber vor dieser Tür stehen bleiben. Aufkommende Kreißsaal-Phobie, ganz eindeutig. Ich würde mich auch lieber auf einem der einladenden Besuchersessel VOR dieser weißen Tür niederlassen und auf einen ausführlichen Bericht meines Begleitpersonals warten, aber das wäre ein für Schwangere vermutlich sehr unangemessenes Verhalten. Schließlich sind wir hier, um uns zu informieren. Ausführlich und zweckorientiert.
Jutta scheint die Bedenken des zögerlichen Schwangerenduos zu wittern. »Na los, Mädels!«, raunt sie uns zu, und ehe wir uns versehen, stehen wir mitten in Raum Nummer eins mit der heimeligen Bezeichnung »Morgentau« quer über die pipigelbe Wand gepinselt.
»Wir haben drei Kreißsäle. Sie alle haben Namen. Das hier ist ›Morgentau‹«, erklärt Magdalena energisch, und für diejenigen unter uns, die des Lesens nicht mächtig sind oder einfach unter starker Schwangerschaftsdemenz leiden, artikuliert sie noch einmal sehr deutlich: »Morgentau.«
In »Morgentau« gibt es ein sehr technisch aussehendes Bett, dessen einzelne Teile offensichtlich in alle Himmelsrichtungen frei schwenkbar sind, ein Seil, das frei von der Decke baumelt, und einen kleinen Hocker, der aussieht, als ob Wirbelsäulen-Patienten darauf ihre rückenschonenden Übungen absolvieren.
Genau darauf lässt Magdalena sich jetzt plumpsen und verkündet: »Das ist unser Gebärhocker!«, woraufhin Tom ein leicht panisches Grunzen von sich gibt und den Raum verlässt. Ich vermute, er muss jetzt mindestens ein Mal den Flur entlangjoggen, um diese Information zu verarbeiten. Wohingegen Mara sich tapfer schlägt. Ohne jegliche Berührungsängste hat sie sich kurzerhand auf das Gebärbett gesetzt und baumelt entspannt mit den Manolos. Und für Jutta und Andrea ist das hier sowieso kalter Kaffee. Jutta fängt nur leise an, vor sich hin zu summen, als eine Frau im vermutlich selbstgebatikten Zelt-Shirt fragt, ob sie ihre Duftlampe von zu Hause mitbringen dürfe. Sie hätte da einen ganz speziellen Aromatherapie-Cocktail, der aufgrund der besonderen ätherischen Zusammensetzung Wehenschmerzen lindern würde.
Während Magdalena auch diese Frage kompetent beantwortet – »Natürlich, wir sind da ganz offen« –, intoniert Jutta leise: »Das hilft auch nicht gegen Wehen, lalala. Glaube ihnen nicht, lalala …« Aber Andrea bringt sie mit einem beherzten Knuff in die Seite zum Schweigen.
Ohne weitere Zwischenfälle geht es dann zum Raum »Abendrot«. Auf dem Weg sammeln wir Tom wieder ein, der leicht derangiert auf einer der Fensterbänke im Flur hockt, uns aber bereitwillig zum nächsten Geburtsort folgt. Warum man einen Raum, der in sämtlichen Blautönen dieser Welt gehalten ist und in dessen Mitte eine riesige Badewanne thront, mit dem Namen »Abendrot« beglückt, ist mir schleierhaft. Ich hätte ihn »Das blaue Grauen« genannt, aber ich bin hier wohl kein Maßstab.
Fakt ist, dass dieser Raum mehr nach Wellnessbereich aussieht als nach Krankenhaus. Was ich erst mal durchaus sympathisch finde. Dazu gibt es ein ausgeklügeltes Lichtsystem, das uns nun umgehend von Magdalena demonstriert wird. Viel Licht, wenig Licht, rotes Licht, gelbes Licht, gar kein Licht und so weiter und so fort. Magdalena scheint sehr stolz auf »Abendrot«
Weitere Kostenlose Bücher