Nicht die Bohne!
tiefenentspannt an meinem Küchentisch und starre versonnen in den winterlichen Regen. Die gestrigen Heulkrämpfe und Panikattacken bezüglich meiner beruflichen Zukunft scheinen eine Ewigkeit entfernt. Vielleicht machen die Schwangerschaftshormone mich langsam immun gegen die Realität?
Bei Realitätsentfremdung hilft eigentlich immer ein Besuch bei meinen Eltern, und da mittlerweile sogar Herr Dr. Arsch durch den Betriebsrat von der Existenz der Bohne weiß, sollte ich es ihnen wohl sagen. Auch vor Ende der magischen zwölften Woche. Um halb zehn melde ich mich daher telefonisch zum Essen im elterlichen Heim an. Und um fünf nach halb zehn liege ich wieder im Bett. Dieser Entgleisung meiner sonst so strikten Einhaltung von Ruhe- und Arbeitszeit huldige ich bis halb zwölf, dann sattle ich den Golf und verlasse die Stadt.
Meine Eltern leben auf dem Land. Nicht nur, dass sie auf dem Land leben, sie leben quasi auch mit dem Land und mit allen Tieren und Pflanzen, die es dort zwangsläufig so gibt. Hannelore und Klaus Schmidt, meine treu sorgenden Eltern, sind waschechte Ökos, die ihre Möhren selbst anbauen, kleine Bambis mit der Flasche großziehen und das dicke Geld mit einem Versandhandel verdienen, über den sie »Produkte für das Leben im Einklang mit der Natur« vertreiben.
Meine Mutter ist eigentlich Journalistin, und mein Vater war mal Investmentbanker, aber vor ungefähr zehn Jahren wurden sie erleuchtet und haben ihr Leben von heute auf morgen völlig umgekrempelt. Seitdem weint meine Mama, wenn ich bei McDonald’s einen Big Mac bestelle, und mein Vater verteilt bei jedem seiner Besuche in meiner Neubauwohnung kleine, hässliche Steine an den »Elementarpunkten« auf meinem Echtholzfußboden – für ein gutes Chi. Sie sind, alles in allem, fantastische Eltern, haben aber trotzdem irgendwie eine ziemliche Meise. Zum Glück konnte ich meine Kindheit völlig normal mit Würstchen und Plastikspielzeug und Fernsehen verbringen, insofern habe ich diesbezüglich keinen Therapiebedarf. Da beide von zu Hause aus arbeiten, kochen sie jeden Mittag fleisch- und geschmacklose Gerichte, die sie jedem aufnötigen, der es nicht schnell genug vom Hof schafft. Ich habe schon Postboten, Paketzusteller und sogar die Zeugen Jehovas an ihrem blank gewienerten Eichentisch gesichtet.
Heute waren alle schnell genug. Es steht kein fremdes Auto auf dem Hof, und Paris, die dicke Golden-Retriever-Hündin, begrüßt mich stürmisch – so stürmisch, wie es einem Hund mit fünf Kilo Übergewicht eben möglich ist. Ich betrete das gemütliche Bauernhaus und lasse meine Schuhe in der Diele stehen. Auf Socken laufe ich in die gemütliche Bauernküche und stolpere über den gemütlichen Bauernteppich, der sich auf dem gemütlichen Bauernfußboden zu einer hinterhältigen Delle aufgetürmt hat.
»Hallo, mein Schatz!«, begrüßt mich meine Mutter herzlich und wirft mir eine Kusshand zu, während sie weiter in einem brodelnden Kochtopf herumrührt. Im nächsten Moment zwickt mein Vater mich hinterrücks in die Taille und drückt mir einen Kuss auf die Wange.
Wir plaudern eine Weile über dies und das, bis ich endlich den Tisch decken darf.
Das Essen ist fertig, und damit steht die erste Hürde in unserer kampferprobten Familiengemeinschaft an. Meine Eltern erwarten eine ordnungsgemäße Verweigerung der gesunden Kost. So war es in den letzten zehn Jahren, daran sind sie gewöhnt, das brauchen sie irgendwie.
»Ein köstlicher vegetarischer Eintopf mit Hirse und Pastinaken!« Energisch stellt meine Mutter den Topf in die Mitte des Tisches, während mein Vater sich auf seinen Stuhl sinken lässt und voll sinnlicher Vorfreude schnuppert. Erwartungsvoll blicken sie mich beide an.
»Wusstet ihr eigentlich, dass das Wort vegetarisch aus dem Indianischen kommt?«, sage ich. »Es heißt: zu blöd zum Jagen!«
Mein Vater runzelt die Stirn. »Der ist alt, den kannte ich schon.«
Nun, was soll man machen. Auch mein Repertoire an vegetarierfeindlichen Sprüchen ist begrenzt; die guten und originellen sind nach all den Jahren liebevollen Gekabbels längst aufgebraucht. Aber auch lahme Witze erfüllen ihren Zweck. Das Ritual ist abgehandelt, der vegetarische Eintopf platscht auf meinen Teller, und das Essen kann beginnen.
»Hast du heute frei?«, nuschelt mein Vater mit dem Mund voller Hirseeintopf. Mit vollem Mund anderen Menschen Gespräche aufzuzwingen, hat er auch schon vor seiner Erleuchtung, in den Zeiten geschniegelten Bankertums,
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