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Nicht die Bohne!

Nicht die Bohne!

Titel: Nicht die Bohne! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Steffan
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schwulen, popelnden Mann eigentlich reden? Bin ich schon so bedürftig, dass ich auf wildfremde Menschen zurückgreifen muss, um ihnen mein Leben zu erzählen? Werde ich bald anfangen, die Fleischereifachverkäuferin bei Edeka mit einem detaillierten Tagesbericht zu langweilen, und kleine Steinchen unter der Fußmatte verstecken, um die Putzaktivitäten meiner Nachbarn zu überwachen?
    Noch nicht einmal die etwas schräge Variante von »O Tannenbaum« lässt mich heute genervt die Augen verdrehen. Ob ich jetzt umgehend sonderbar werde?
    Mein Tee kommt, und ich rühre sechs Löffel Zucker hinein. Nicht weil ich auf süß stehe, mehr weil ich so in meine konfusen Gedanken verstrickt bin und das Zucker-in-die-Tasse-Löffeln mich beruhigt. Meine Nerven entspannen sich etwas, dafür ist der Kamillentee ungenießbar. Ich trinke ihn trotzdem, weil ich keinen neuen bestellen will, und warte weiter. Als ich den nächsten Schluck trinke, funkeln meine Geschmacksnerven mich böse an, und plötzlich steht der Popler vor meinem Tisch.
    »Hallo, da bin ich«, sagt er atemlos und plumpst auf den freien Stuhl mir gegenüber. Er hat schöne Haare und schöne Augen. Ansonsten erinnert er mich ganz entfernt an einen Mops, was nicht nett ist, also schubse ich den Gedanken schnell in die hinterste Ecke meines Gehirns.
    »Ich bin Hannes«, stellt er sich vor und greift über den Tisch hinweg energisch nach meiner kalten Hand. Na wunderbar, er hat einen Namen. Dann kann ich jetzt ja aufhören, ihn in Gedanken »den Popler« zu nennen.
    »Paula«, sage ich, und plötzlich bin ich schüchtern. Ich bin noch nie schüchtern gewesen – wieder eine seltsame Wendung in meinem Leben. Hannes wird als erster fremder Mensch die neue Paula kennenlernen. Die joblose, schwangere Frau, die in schwierigen persönlichen Verhältnissen lebt. Dazu trage ich heute kein Kostüm in gedeckten Farben, sondern alte zerschlissene Jeans und Chucks.
    Ich bin plötzlich ein anderer Mensch. Die Erkenntnis ist so tiefgreifend, dass mir schon wieder die Tränen kommen. Wird das denn nie aufhören? Zumindest rein optisch ist ohnehin schon alles zu spät.
    »Oje!« Hannes springt auf und sprintet um den Tisch herum. Dann sieht er mich kurz fragend an, beide Arme erhoben, und ich nicke. Gott, was für ein höflicher Mensch! Erst fragen, dann umarmen. Dabei kenne ich ihn nicht und weiß nur, dass er gerne popelt, schwul ist und Hannes heißt. Was mich nicht daran hindert, meine Tränenflut in sein Hemd zu entlassen, während er freundliche Brummlaute von sich gibt und mir sanft den Rücken streichelt. Die Bedienung kommt, erkennt die Dramatik der Situation und geht wieder. Zwei Sekunden später ist sie allerdings wieder da und stellt zwei mit Zuckerglasur versehene Muffins auf den Tisch. Dann nickt sie freundlich und verschwindet wieder.
    Hannes schafft es, meine Tränen in ein Taschentuch zu manövrieren, mir weiterhin den Rücken zu streicheln und mir gleichzeitig kleine Brocken des köstlichen Gebäcks in den Mund zu schieben. Dazu sagt er noch so souveräne Dinge wie: »Du wirst es jetzt nicht glauben, Paula. Aber alles wird wieder gut. Nur wer ganz unten ist, kann auch wieder nach ganz oben.«
    Er scheint sehr lebensklug zu sein, und als ich beide Muffins im Magen habe und definitiv keine einzige Träne mehr produzieren kann, weil das gesamte Flüssigkeitsvorkommen in meinem Körper in sein Hemd gesickert ist, fange ich an zu sprechen. Ich erzähle ihm alles. Sogar von Dr. Arsch und dem Betriebsrat. Und dass ich nette, aber seltsame Eltern habe und ihr Hund Paris heißt. Natürlich berichte ich auch von der Bohne, die sich heimtückisch in meinem Uterus eingenistet hat. Sie ist ja schließlich schuld an alledem. Und als ich dabei – unbewusst, ich schwöre! – zärtlich über meinen nicht vorhandenen Babybauch streichle, fängt auch Hannes an zu weinen.
    Die Bedienung bringt weiteres Fett und Zucker in Form von noch warmen Buttercroissants, und Hannes schluchzt: »Du bist eine so tolle Frau, dass du dich für die Bohne entschieden hast. Gegen alle Regeln der Vernunft. Gott, bist du toll!« Dann steckt er sich ein halbes Buttercroissant in den Mund und muss zwangsläufig erst mal schweigen. Ich nehme die andere Hälfte, und während ich kaue, denke ich nach. Kann man das so sehen? Bin ich vielleicht wirklich eine tolle Frau, weil ich mich für das ungeborene Leben entschieden habe, obwohl ich in schwierigen persönlichen Verhältnissen lebe?
    Nachdem wir beide alles

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