Nicht die Bohne!
nicht unbedingt die von mir erwartete Antwort. Ganz offensichtlich ist das Juristenhirn durch irgendetwas blockiert und weigert sich, eine korrekte Fallanalyse zu erstellen.
»Äh, was?«, frage ich deswegen bemüht sachlich zurück.
Herr Dr. Morgenroth blinzelt noch einmal kurz, bevor er antwortet: »Mein ›Juristenhirn‹, wie Sie es so schön nennen, wurde wie gesagt von Frau Wegener mit den Eckdaten vertraut gemacht. Sofern diese wie beschrieben gegeben sind, ist die Kündigung aus mindestens zwei Gründen unwirksam. Bevor ich jedoch auf die rechtlichen Details eingehe, möchte ich noch einmal die mir zur Kenntnis gereichten ›Eckdaten‹ zusammenfassen, damit Sie und ich von dem gleichen Sachverhalt ausgehen: Sie sind schwanger und haben von Ihrem Arbeitgeber eine verhaltensbedingte Kündigung erhalten. Der Arbeitgeber behauptet, Sie seien vorher bereits abgemahnt worden und es werde Ihnen nicht gelingen, das Nichtvorliegen einer wirksamen Abmahnung nachzuweisen. Bei dem Gespräch mit Ihrem Chef kam es zu gegenseitigen Beleidigungen, und jetzt sitzen Sie hier.«
Ich nicke, immerhin hat er eine sehr hübsche Zusammenfassung erstellt. Dennoch bin ich leicht irritiert, er starrt mich nämlich die ganze Zeit an, als würde ich in der Sonne glitzern wie Edward der Vampir. Ich reibe mir kurz über die Nase. Habe ich etwas im Gesicht? Unauffällig werfe ich Mara einen verwunderten Blick zu, doch sie zieht nur verächtlich eine Augenbraue hoch. Dann formen ihre Lippen das Wort »Testosteron«.
Der Jurist bekommt davon nichts mit, er spricht weiter über Paragrafen und Schlimmeres und blickt abwechselnd mich und seine Unterlagen an. Ob er bewusstseinserweiternde Drogen konsumiert hat? So ein Jurist hat es ja bisweilen auch nicht leicht.
»Gut«, sagt er in diesem Moment, und ich bin wieder bei der Sache. »Fangen wir vorne an. Wie schon gesagt, gibt es zwei Gründe, nämlich einen rechtlichen und einen ›rechtlich-tatsächlichen‹ Grund, warum die Kündigung nicht wirksam ist. Der rein rechtliche Grund betrifft die Abmahnung. Denn diese ist bei einer verhaltensbedingten Kündigung eine unabdingbare Voraussetzung, sofern sie nicht gerade den Chef verprügeln oder das Büro vorsätzlich in Brand stecken.«
An dieser Stelle erscheint ein geradezu verschmitztes Lächeln auf seinem Gesicht. Sollte der Jurist etwa über Humor verfügen? Pflichtschuldig erwidere ich das Lächeln.
»Aber Spaß beiseite.« Genau, nur nicht zu viel davon! »Die Vertreter des Betriebsrats haben Sie insoweit auch eindeutig falsch informiert. Denn für die Wirksamkeit des Zugangs der Abmahnung ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig. Es reicht nicht, die Abmahnung einfach in die Personalakte zu heften und zu behaupten, Sie hätten sie erhalten. Daher lassen sich die Arbeitgeber Abmahnungen beziehungsweise den Erhalt der Abmahnung vom jeweiligen Empfänger quittieren. Ihr Arbeitgeber hat genau dies nicht getan und sich dadurch selbst einen prozessualen Nachteil geschaffen. Pech gehabt! Und ohne Abmahnung ist die verhaltensbedingte Kündigung im Regelfall unwirksam. Außerdem sind Sie schwanger. Eine Kündigung während der Schwangerschaft und bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung ist unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft bekannt war oder ihm diese innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. Da Ihr Chef insoweit keine Kenntnis von der Schwangerschaft hatte, wohl aber der Betriebsrat während des Gesprächs mit Ihnen davon erfuhr, würde ich Ihnen sicherheitshalber dazu raten, ein ärztliches Attest über das Bestehen der Schwangerschaft bei Ihrem Arbeitgeber einzureichen. Da aufgrund der Schwangerschaft also ein Kündigungsschutz besteht, brauchen Sie sich diesbezüglich erst einmal keine Sorgen zu machen. Ihr Arbeitsverhältnis ist Ihnen sicher!«
Dr. Clemens Morgenroth hüpft, erfreut über all diese positiven Entwicklungen, auf seinem Stuhl auf und ab, und ich nehme einen großen Schluck Wasser. Es geht noch weiter.
»Sie haben ja bereits das Wort ›Abfindung‹ ins Spiel gebracht. Ein Aufhebungsvertrag ist grundsätzlich möglich und wird auch nicht durch das Mutterschutzgesetz ausgeschlossen. Und das ist in Ihrem Fall absolut zu überlegen, da man aufgrund der versuchten Kündigung in Zusammenhang mit der wissentlich falschen Beratung bezüglich der Abmahnung von einem gestörten Vertrauensverhältnis ausgehen kann. Die Abfindungssumme
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