Nicht die Bohne!
ebenfalls, woraufhin Herr Dr. Clemens Morgenroth leicht errötet. Der Typ hat anscheinend nicht nur empfindliche Zahnhälse, sondern auch noch eine zartbesaitete Seele. Das ist drollig, fürwahr.
Als Mara endlich von ihrer Pipi-Pause zurückkommt, lädt sie uns alle gönnerhaft ein, und der Jurist eilt von dannen. Wir bleiben noch ein paar Minuten sitzen und schweigen. »Ich fass es nicht«, sagt Mara irgendwann in die Stille hinein.
»Ich auch nicht«, antworte ich.
»Machen die Schwangerschaftshormone, dass du anders riechst? Der war ja wie paralysiert von dir. Ist dir das in den letzten Tagen schon mal passiert?«
Ich überlege. »Nö«, antworte ich dann gedehnt. »Mir ist nichts aufgefallen. Dr. Arsch hat mich rausgeschmissen, ich habe heute einen schwulen Mann kennengelernt, der war zwar nett, aber nicht aufdringlich, noch nicht mal der Apotheker, bei dem ich die Schwangerschaftstests gekauft habe, war sonderlich beeindruckt von mir. Mein Ex hat eine Neue. Alles normal.«
»Kann nicht sein, Paula. Er war, für seine Verhältnisse, wie von Sinnen. Und ich kenne ihn gut.« Mara runzelt zweifelnd die Stirn.
»Vielleicht steigt deine Attraktivität proportional zu der Größe der Bohne«, raunt sie dann, und ich muss lachen. Weil das natürlich Humbug ist und weil sie sich den Projektnamen gemerkt hat. Mara hat es nicht so mit Namen. Ihren eigenen kann sie zum Glück an ihrer Bürotür nachlesen, alle anderen vergisst sie gern. Uns Mädels nennt sie oft pauschal »Freundin«, damit liegt sie immer richtig.
»Du musst das scharf beobachten, klar?«
»Klar«, antworte ich grinsend und drücke ihr die Hand. »Danke!«
»Das ist doch das Mindeste.« Sie nickt huldvoll, und wir machen uns auf den Weg. Sie trotz der späten Stunde zurück ins Büro, und ich, in Ermangelung eines Büros, nach Hause.
Kapitel 11
Alkohol ist keine Lösung. Wasser aber auch nicht. Deswegen entscheide ich mich, zu Hause angekommen, für den Mittelweg und koche mir eine Kanne Tee mit Rumaroma. Dann erfreue ich mich an meiner weihnachtlichen Jagdbeute und verstecke alles im Kleiderschrank. Nicht dass jemand gucken käme und dann enttäuscht wäre, wenn er sein Geschenk vorab entdeckte, aber sicher ist sicher. Irgendwie bin ich so darauf trainiert, Geschenke zu verstecken, dass es fast schon automatisch geschieht oder … hm, na ja … zwanghaft.
Bei uns zu Hause wurden alle Geschenke immer fein säuberlich im Kleiderschrank meiner Mutter aufgestapelt. Manchmal konnten Tom, Andrea und ich uns allerdings nicht beherrschen und haben, trotz des mit Höchststrafen belegten Verbots, uns dem Kleiderschrank auch nur zu nähern, einen Blick hinter die schwere Eichenholztür gewagt. Das war immer ergebnislos, denn meine Mutter hatte jedes Geschenk direkt nach Erwerb verpackt, aber an dieses Gefühl von prickelnder Vorfreude, wenn die Schranktür langsam aufschwang, kann ich mich bis heute erinnern. Ob die Bohne, wenn sie groß ist, auch solche Erinnerungen haben wird? Mit mir als Mutter?
Mutter. Ich werde Mutter. Wie kann ich eigentlich Mutter werden? Vielleicht hat es im großen Kosmos einfach nur einen Fehler gegeben, und irgendjemand hat sich gar fürchterlich vertan? »O Gott, was für ein fataler Fehler. Die arme Bohne. Ausgerechnet DIE sollte nicht Mutter werden!« Könnte ja sein. Ich finde mich ja selbst ziemlich seltsam.
Allerdings habe ich mir bei Andrea auch nie vorstellen können, dass sie Kinder zur Welt bringt. Ziemlich unberührt von meinen Ansichten hat sie es trotzdem getan, und ich glaube, sie macht ihren Job ziemlich gut. Sie selbst glaubt allerdings, Super-Mom zu sein. Die Beste der Besten. Aber sie hat das ja auch so gewollt und außerdem … sie ist nicht alleine. Während ich ganz allein mit allem bin.
Okay, nicht ganz. Ich habe meine Familie und meine Freunde. Aber wenn ich schon ein Kind bekomme, so völlig ungeplant, dann soll es dieses Kind doch gut haben. Problem: Wie soll das Kind es gut haben, wenn ich arbeitslos bin, in einer Zwei-Zimmer-Wohnung hause und vermutlich irgendwann so unzufrieden werde, dass ich mit Bratpfannen schmeiße – also nicht in Richtung Bohne, dass das mal klar ist. Aber zum Beispiel gegen die Küchenwand. Hab ich schon mal gemacht. Als ich nach dem Studium keinen Job gefunden habe und mein Frust schließlich irgendein Ventil brauchte. Olaf war damals ganz fasziniert von diesem Verhalten und meinte, ich sollte mir dringend professionelle Hilfe holen. Seine Diagnose lautete glasklar:
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