Nicht die Bohne!
später treffe ich endlich auf eine Tür mit der Erfolg versprechenden Aufschrift »S- XYZ «. Ganz benommen von den langen Gängen in Ocker-Gelb klopfe ich vorsichtig an. Keine Reaktion. Ich klopfe erneut, und aus dem Inneren des Büros kommt ein lautstarkes Grummeln. War das jetzt ein »Herein!«?
Vielleicht. Zaghaft öffne ich die Tür. Eine Frau mit sehr spannender asymmetrischer Frisur funkelt mich von ihrem Platz hinter dem Computer aus wütend an.
»Bitte ziehen Sie eine Wartemarke!«, faucht sie, und ich gebe ein uneloquentes »Äh?« von mir. Wartemarke? Ist doch keiner da, außer mir und dem Teppich und den Computerarbeitsplätzen.
»Aber es ist doch …«, setze ich an, um die Frau mit der seltsamen Frisur davon in Kenntnis zu setzen, als sie erneut anfängt zu fauchen, diesmal mit einem definitiv drohenden Unterton: »Bitte ziehen Sie eine Wartemarke! Sie werden aufgerufen!«
Vorsichtshalber schließe ich die Tür wieder und blicke mich verwundert im Flur um. Tote Hose hier. Wozu eine Wartemarke ziehen? Fragen über Fragen. Kurz ringe ich mit mir, einfach wieder in den Golf zu steigen und gen Heimat zu fahren, dann gewinnt der rationale Teil in mir. Nicht durch logische Überzeugungsarbeit, sondern durch die schlichte Erkenntnis, dass das Fluchtauto bald nicht mehr mein Eigen sein wird, wenn die Frau mit der »Links lang, rechts kurz«-Frisur mir kein Geld gibt.
Also drücke ich ordnungsgemäß den Knopf an dem Wartemarken-Apparat und setze mich auf einen der farblich mit dem Fußboden abgestimmten Stühle. Ocker-gelb, versteht sich.
Ich warte exakt sieben Minuten und dreiundzwanzig Sekunden. Dann macht es »Dong« und die Zahl 978 erscheint auf einem Display über der Tür zu der fauchenden Frau. Ich schiele auf meinen Wartebon und stelle erfreut fest, dass dort in blassblauen Buchstaben die Zahl 978 steht. Womit natürlich zu rechnen war, es wartet ja sonst niemand mit mir. Trotzdem freue ich mich kurz. Drankommen ist doch immer etwas Schönes.
Diesmal klopfe ich nicht. Sie hat ja schließlich nach mir gedongt. Stattdessen betrete ich zügig das Büro und nehme kurzerhand auf einem der Besucherstühle Platz. Die Frau mit der krassen Frisur nickt mir nur kurz zu, lässt sich aber nicht stören. Offenbar hat sie noch irgendetwas sehr Wichtiges in ihren Computer einzugeben. Die Tastatur, mit der sie klappert, hat auch schon bessere Tage gesehen. Ich kann Flecken aller Couleur auf den einzelnen Buchstabenreihen entdecken und ekle mich ein bisschen.
Was mich nicht davon abhält, mir auszumalen, was zu den Flecken geführt haben könnte. Der braune Fleck auf dem »K« sieht aus wie getrocknete, leicht schuppige Schokolade. Der auf dem »Ä« muss irgendeine Verbindung mit Apfelsaft gehabt haben. Ich lausche angestrengt, ob er auch ein klebriges »Plock« von sich gibt, aber die Frau mit der krassen Frisur schreibt ohne das »Ä«. Sie schreibt sowieso eher im Schneckentempo, dafür aber lautstark. Der ganze Tisch wackelt, weil sie unter vollem Körpereinsatz die einzelnen Tasten drückt. Die Frau braucht nach Dienstschluss gewiss kein Fitnessstudio mehr.
Gerade sinniere ich über einen dunkelroten Fleck neben dem »J« und ob es sich wohl tatsächlich um Rotwein handeln könnte, da wendet sie mir ihr Gesicht zu und unterbricht abrupt ihre Schreibübungen. »Was kann ich für Sie tun?«, fragt sie mich steif.
So abrupt aus meinen Gedanken gerissen, fällt mir erst mal nur das Offensichtliche ein. »Ich bin arbeitslos«, informiere ich sie.
»Seit wann?«, fragt sie schneidig zurück.
»Äh, seit vorgestern, glaube ich.«
»Ja, mit glauben kommen wir hier aber nicht weiter«, faucht sie wieder.
»Also seit vorgestern«, antworte ich fester, um Contenance bemüht. Was für ein schreckliches Weib. Hier ist die Frisur wohl Programm.
»Dann sind Sie zu spät. Die Arbeitslosenmeldung ist eine unverzichtbare Voraussetzung für den Bezug von Arbeitslosengeld und muss am ersten Tag der Beschäftigungslosigkeit erfolgen.«
»Okay«, antworte ich gedehnt. In meinem Hirn poltert es. Zu spät? Hat die einen an der Waffel? »Aber ich bin doch jetzt hier«, versuche ich es. »Und gekündigt wurde mir erst gestern …«
»Dann hätten Sie gestern kommen müssen«, fällt sie mir ins Wort. »Das gibt eine Sperrfrist von einer Woche. Bitte füllen Sie diese Formulare aus.« Und damit drückt sie mir einen unüberschaubaren Wust an Papieren in die Hand.
Ernüchtert wandere ich wenige Minuten später durch die
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