Nicht die Bohne!
Kiste, die sie unter der Treppe verstaut hat, nach einer Zahnbürste für mich fahndet – in dieser Kiste befinden sich außerdem so seltsame Dinge wie Hornhauthobel, ein singender Plüschpinguin und CD s von Howard Carpendale –, frage ich sie forsch: »Willst du mir nicht endlich mal erzählen, was mit Simon los ist?«
Sie seufzt schwer und wirft zwei Bücher mit sehr ominösen Titeln auf den Haufen, der sich mittlerweile neben der Kiste der sonderbaren Gegenstände auftürmt.
»Paula, wenn ich könnte, ich würde es tun. Aber ich habe ihm geschworen, niemals über dieses Thema zu sprechen.« Sie hält inne und kratzt sich ratlos am Kopf. »Ich weiß nur, dass er dich sehr mag. Die Betonung liegt auf sehr, sehr, sehr! Und dass er ein guter Bohnen-Vater wäre, der sein letztes Hemd für dich und das Kind geben würde. Aber er hat …« Sie verdreht die Augen. »Wie soll ich sagen? Nennen wir es intrapersonelle Probleme. Nun kann ich dir in deiner Situation schlecht raten, einfach dranzubleiben«, fährt sie fort. »Du hast ja genügend eigene Probleme. Ich kann nur sagen, er hat sich ziemlich verändert, seit er dich kennt. Und ich bin überzeugt, dass er gut zu dir passen würde.«
»Und was mache ich mit dem ›intrapersonellen Problem‹?«, frage ich. Das Wort kann man kaum aussprechen, ohne einen Knoten in die Zunge zu bekommen.
Sie seufzt, zuckt die Schultern und zieht im nächsten Moment eine verpackte Zahnbürste aus den Tiefen der Kiste hervor.
»Na, wer sagt’s denn!« Triumphierend hält sie das grün-weiß gestreifte Teil vor meine Nase und grinst mich an.
Des Weiteren werde ich mit einer Jogginghose von Edgar, einem Shirt von Elena und dicken Socken von Alina ausgestattet und bin somit bettfertig. Theoretisch. Praktisch bin ich nicht müde, im Gegensatz zu meinen Mitstreitern des heutigen Tages.
Um kurz nach neun erscheint Harry mit einem Schlafsack, kocht sich eine Kanne Tee und verkündet, dass er heute bei seinem Viehzeug in der Strohscheune schlafen wird. Kurz danach verabschiedet sich Alina, nicht ohne mich vorher noch einmal an ihren mageren Busen zu drücken. Da sie ja sonst nicht so der herzliche Typ ist, drücke ich sie erfreut zurück, und sie tätschelt liebevoll meinen Bauch.
Edgar folgt ihr nach zwanzig Minuten, in denen er uns mehrmals bange fragt, ob Alina wohl schon im Bad fertig ist. Das Bad hat nämlich keinen Schlüssel, und Edgar ist aufgrund dieser Tatsache sichtlich beunruhigt. Schnell bastele ich ein Schild mit FREI auf der einen und BESETZT auf der anderen Seite und bitte ihn, dieses gut sichtbar anzubringen. Je nach Sachlage im Badezimmer.
Elena und ich essen noch ein paar Kekse, dann werde ich auch von ihr geherzt, und sie macht sich daran, ins Bett zu gehen. Zum Abschied sagt sie: »Du passt wirklich gut zu uns. Wir mögen dich sehr«, und verschwindet. Mit einem behaglichen Gefühl im Bauch futtere ich die restlichen Kekse auf. Dann lege ich noch ein paar Holzstücke in den alten Bollerofen neben dem modernen Herd und lasse den Tag im Kopf Revue passieren.
Die Menschen auf diesem Hof harmonieren trotz ihrer Unterschiedlichkeit ganz hervorragend miteinander. Am besten erkennt man so etwas ja in akuten Notsituationen. Und der heutige Tag steht unbestritten auf Platz eins der akuten Notsituationen.
Vermutlich liegt es einfach daran, dass sie alle die Fähigkeit haben, den jeweils anderen so zu akzeptieren, wie er ist. In einem großen Unternehmen bleibt gar keine Zeit zu erfahren, mit was für einem Menschen man es zu tun hat. Da heißt es immer: Schnell, schneller, noch schneller, und wenn jemand nicht funktioniert, wird er entweder repariert, versetzt oder entlassen.
Auf diesem Hof dagegen gibt es viel Verständnis und Muße, den anderen kennenzulernen. Und wenn man ihn dann kennengelernt hat, wird er akzeptiert. Zumindest solange er kein Fleisch aus Massentierhaltung isst, keinen Pelz trägt und mindestens Mitglied bei PETA oder Greenpeace ist. Sonst kann es passieren, dass die Öko-Gang gemeinschaftlich auf dem Pfad der Bekehrung wandelt, frei nach dem Motto: »Machen wir die Welt besser!«
Alles in allem fühle mich auf dem Hof sehr wohl. So wohl wie schon lange nicht mehr in meinem Leben.
Kapitel 23
Als der letzte Keks meinen Magen erreicht, überkommt mich das dringende Bedürfnis, nach Simon zu sehen. Das ist wahrscheinlich keine so gute Idee, aber die vernünftigen Einwände, die mein Verstand sogleich in hoher Anzahl produziert, werden von den vielen
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