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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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und logische Schlußfolgerung,
derer man sich nicht schämen mußte. In Kriegszeiten erst recht nicht. Das
menschliche Gehirn gehorcht egoistischen Gesetzen, reflektiert sich an
Begierden, die zu entscheidenden Parametern werden. Jede eintreffende Nachricht
wird zuerst darauf geprüft, ob sich aus ihr Vorteile ableiten lassen. Erst
hinterher, verspätet, schalten sich gesellschaftlich verordnete Instanzen wie
Gewissen, Moral, Feingefühl und Anstand dazwischen. Karl hatte große Lust,
Eileen zu küssen oder sonstwie zu trösten. Statt dessen stand er, die Hände in
den Jackentaschen, vor ihr und brachte kein Wort heraus.
    Eileen verabschiedete sich. Karl glaubte, daß diese
wunderbare, taktvolle Frau ihn, und mit vollem Recht, durchschauen und
verabscheuen mußte. Dennoch hätte ihn interessiert, ob nicht auch sie eine
Zukunft ohne Eric in Betracht zog. Ob nicht auch sie die Vorstellungskraft
besaß, vielmehr unter Verlustphantasien litt, um irgendwo, und sei es in der
kleinsten Kammer ihres Denkens, den Tausch des toten Eric gegen einen
lebendigen Karl zu erwägen.
    Es gab keinen Weg, dies zu erfahren, ohne sich ihr, wenigstens
andeutungsweise, als Erics möglicher Nachfolger anzubieten. Tatsächlich sagte
er zum Abschied etwas wie
    Wenn
du irgend etwas brauchst, wenn ich irgend etwas für dich tun kann – und selbst eine solche Floskel klang noch anzüglich genug. Eileen rang sich
zu einem kaum wahrnehmbaren Nikken durch. Dann ging sie, ohne Blick zurück.
    Karl lag nachts wach und entwickelte einen schwer
nachvollziehbaren Neid auf Eric und dessen Todeskampf. Sowie einen weitaus
leichter verständlichen Neid auf Erics Ehefrau. Er war klug genug, um
einzusehen, daß Einsamkeit Begierden verstärkt, vergrößert, als würden sie
durch ein Fernrohr betrachtet. Doch Einsicht schützt vor Leiden nicht. Im
Gegenteil. Das Fernrohr vergrößerte sowohl die Begierde wie die
Aussichtslosigkeit. Ein bitteres Paradox.
    Wäre mir, dachte Karl, je eine solche Gefährtin gegönnt gewesen,
alles in meinem Leben wäre anders, vielversprechender verlaufen.
    Die permanente Ungerechtigkeit des Daseins stieß ihn geradezu ab.
Ungeachtet der Fragilität jeder menschlichen Existenz kam es letztendlich doch
auf Details an. Einige würden den Weg zu den Schatten getröstet antreten,
andere für immer unversöhnt. Zu letzteren zählte Karl sich selbst.
    Nach einigen Tagen suchte er Eileen noch einmal auf, im Continental .
Er fand sie bestens gelaunt, beinahe ausgelassen vor. Sie hatte vor wenigen
Stunden die Nachricht bekommen, daß Eric, gegen alle Wahrscheinlichkeiten,
seine Verletzung überleben würde und sich auf dem Weg der Gesundung befinde.
Bald werde er in ein Lazarett in der Nähe Barcelonas verlegt.
    Das
ist ja großartig , rief Karl laut, wie um etwas anderes in seinem
Innern zu überschreien.
    Ja. Sobald er reisen kann, gehen wir nach England. Eric hat genug
geopfert für diesen Krieg.
    Es war merkwürdig, wie mit dem Augenblick, in dem Karl von
Erics Überleben erfuhr, seine Begierde auf dessen Frau erlosch. Er nahm den
Sinneswandel verwundert, doch mit großer Erleichterung wahr. Und auch Eileen
schien zu spüren, daß sich etwas in Karls Auftreten ihr gegenüber grundlegend
verändert hatte, so als wäre ein Dämon von ihm abgesprungen. Sie behandelte ihn
respektvoll und freundlich, fragte ihn nach seiner Meinung, ob Eric, als
Mitglied der POUM , Repressalien zu erwarten habe.
Karl konnte sie beruhigen. Die Führungskräfte der POUM ,
nun, das sei etwas anderes, aber einen einfachen Frontsoldaten, noch dazu einen
Engländer – wo würde das hinführen? Das Land zu verlassen sei dennoch eine gute
Idee. Und er fügte hinzu, daß Menschen von Geist und Kultur nicht unbedingt im
Brennpunkt der Geschehnisse stehen müßten, um effektiv ihren Beitrag zur
militärischen Krisis zu leisten.
    Du meinst, Entschuldigung, wenn ich dich falsch interpretiere, daß
es Kanonenfutter gibt und Sahneschnittchen?
    Karl mußte lachen. Du hast es erfaßt. So ist es . Genau. Bringt
euch in Sicherheit.
    Erst Stunden später ging ihm die Tragweite dessen auf, was er da von
sich gegeben hatte. Ein derartiges Diktum, das die große Mehrheit der Menschen
zu Existenzen zweiter und dritter Klasse erniedrigte, hätte zu jemandem wie Max
gepasst. Aus dem Mund eines Kommunisten klang es absurd und nach Verrat an
allen Idealen. Karl wußte nicht mehr, im wahrsten Sinne der Redewendung, wo ihm
der Kopf stand. Er wollte, um sich von seiner

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