Nicht ganz schlechte Menschen
Wortschwall reglos über sich ergehen. Er begriff, daß
dieses larmoyante Etwas an sein Mitgefühl appellieren, ein versöhnliches,
tröstendes Wort von ihm hören wollte. Zugleich stieg ein Verdacht in ihm hoch.
Hast du etwas mit Milas Verhaftung zu tun?
Juan hob beide Hände. Wofür hältst du mich denn?
Karl gab keine Antwort und ging.
Es dauerte drei Tage, bis er zwar nicht Zanoussi selbst,
aber jemanden aufgespürt hatte, der ihn gestern noch gesehen haben wollte. Bei bester
Gesundheit sei er gewesen, wieso? Mehr wollte der Informant, ein Bibliothekar
der Volksbücherei, nicht herausrücken, auch dann nicht, als Karl behauptete,
ein Freund Zanoussis zu sein, der ihm eine dringende Mitteilung zu machen habe.
Immerhin war der Mensch kooperativ genug, um dank einer Karteikarte zu
beweisen, daß Zanoussi am vorigen Tag tatsächlich ein Buch entliehen hatte,
nämlich Jules Vernes Reise um die Welt in achtzig Tagen . Es gab keinen
vernünftigen Zweifel mehr, daß Zanoussi auf freiem Fuß war und Mila aus einem
ganz anderen, völlig unbekannten Grund im Gefängnis saß. Angesichts dieser
Erkenntnis war es Karl möglich, etwas forscher aufzutreten, er selbst schien in
den Kasus nicht direkt involviert zu sein, also nichts befürchten zu müssen. In
seiner angemaßten Eigenschaft als deutscher Journalist und Korrespondent der
Pariser Tageszeitung ließ er sich einen Termin beim Polizeikommandanten Salas
persönlich geben, den er um Auskunft bat nach dem Verbleib einer Ludovica
Guardagno aus Bari, Italien. Und er redete ihn mit Genosse an, um auch ja
keinen Trumpf im Ärmel zu behalten.
Salas gehörte zu jenen Menschen, die gelernt hatten,
Querulanten am besten mit Höflichkeit zu begegnen. Anteilnahme zu zeigen, war
der beste Weg, Fragestellern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Tatsächlich
bequemte er sich dazu, in seinen Unterlagen nachzusehen und konnte bestätigen,
daß sich eine Guardagno, Ludovica, in der Obhut der Polizei befand. Wessen sie
beschuldigt wurde, wo sie gerade war und was mit ihr geschehen würde, darüber
wollte er keine Auskunft geben. Es wäre ihm auch schlicht nicht möglich
gewesen. Die Bürokratie konnte mit der Anzahl der Verhaftungen kaum Schritt
halten. Karl entnahm dem Gespräch immerhin, daß Mila mit hoher
Wahrscheinlichkeit noch lebte. Darüber hinaus stellte sich die Frage, welchen
Gewinn es brachte, noch mehr wissen zu wollen. Die kleine Hexe hatte ihm den
Laufpaß gegeben, hatte seine Liebe mit Füßen getreten. Aus welchem Grund hakte
er sie nicht einfach ab? Das Leben mußte weitergehen, und Emotionen, die nun
einmal sinnlos geworden waren, konnte man sich, dachte Karl, abgewöhnen wie das
Rauchen.
Bei einem Abendspaziergang unten am Hafen begegnete ihm
Eileen. Sogleich nutzte er die Gelegenheit, sich noch einmal für den
merkwürdigen Auftritt Milas neulich im Hotel Continental zu
entschuldigen. Das Mädchen habe nicht alle Sinne beisammen gehabt, sich
überdies von ihm getrennt, auf eine ganz schoflige Art und Weise, und sitze
jetzt in einem Gefängnis, kein Mensch wisse, warum. Das habe ihn doch sehr
nachdenklich gemacht, er versuche, sie zu vergessen, aber die Liebe, selbst zu
einer im nachhinein unwürdigen Person, hinterlasse Spuren, wenn nicht gar
Wunden und Narben, dieser verdammte Krieg gehe ihm auf die Nerven, und er
liebäugele mit dem Gedanken, Spanien zu verlassen. Eileen Blair hörte sich sein
Lamento mit versteinerter Miene an, und als Karl sich endlich nach Eric
erkundigte, meinte sie knapp, er habe bei Huesca einen Halsdurchschuß erlitten,
die Ärzte würden um sein Leben ringen. Neunzig Prozent derartiger Verwundungen
würden tödlich enden. Dann versagte ihr die Stimme.
Ach, sagte Karl. Ach je. Das ist ja furchtbar. Die Situation war ihm
äußerst unangenehm. Er legte seine Hände auf Eileens Schultern, bot ihr eine
Umarmung an, sie schien darauf nicht eingehen zu wollen, und er zog seine Hände
zurück, steckte sie in die Taschen seiner Jacke, als seien sie ihm peinlich.
Was ihn entsetzte, war ein kurz aufblitzender Gedanke. Konnte er denn so
verdorben sein, ernsthaft zu wünschen –? Nein, natürlich nicht, er war einfach
nur ein intelligenter Mensch, der jede eintreffende Information auf
mannigfaltige Weise weiterdachte und in mögliche Handlungsverläufe
transformierte. Den winzigen Bruchteil einer Sekunde lang hatte er wohl
überlegt, daß, falls Eric Blair seiner Verletzung erliegen, Eileen frei sein
würde. Vielleicht war das eine ganz natürliche
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