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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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Klavier brauchen zu können, selbst wenn er es für drei
Säcke Kartoffeln hätte haben können. Sebastián trug zwei Gedichte vor, vom
Vater melodramatisch begleitet, ein sehr kitschiges über den Wert der
Freundschaft, von einem Karl nicht geläufigen argentinischen Poeten, das andere
war eine ungelenke spanische Übersetzung von Am Brunnen vor dem Tore .
Es rührte Karl zu Tränen. Clara Rosario hatte eine Flasche Rotwein besorgt und
Nudeln mit Manchego-Käse gekocht, wobei der Käse fast höher zu bewerten war als
der Wein. Danach gab es noch Kuchen, einen schlichten Kirschstreuselkuchen mit
sehr wenig Butter und Zucker, nach deutschem Rezept. Zum Schluß, als Sebastián
schon im Bett war, wurde noch eine Phiole voll Schnaps aufgemacht, und José
spielte am Klavier das Brindisi aus der Traviata . Karl trank den
Wein wie den Schnaps und war danach so entfesselt, daß er seine Gastgeber
herzte und umarmte. In einer besseren Welt, sagte er pathetisch, würde man sich
einst wiedersehen. Er meinte natürlich die Zeit, in der Spanien von Francos
kommendem Regime befreit sein würde, aber so wie er es sagte, dachte Clara, daß
er vom Jenseits rede, das war zuviel für ihre zarte Seele.
    Anderntags bestieg Karl den Zug nach Norden und begegnete zum
letzten Mal den Blairs. Auch das mußte gefeiert werden. Es stellte sich heraus,
daß Eric, der um den Hals einen Verband trug und nur gekrächzte Laute
herausbrachte, großes Glück gehabt hatte, einer Verhaftung zu entgehen. Nicht
nur die Führer der POUM , praktisch jeder, der mit
ihr in Verbindung stand, war zum Volksfeind und für vogelfrei erklärt worden.
Einen Moment lang überlegte Karl, ob er sich für seine Genossen entschuldigen
solle. Oder für seine falschen Vorhersagen.
    Eileen und Eric trugen ihre elegantesten Garderoben, sie meinten,
daß es jetzt von Vorteil sei, bürgerlich zu wirken. Welch eine verkehrte Welt –
lautete ihr Kommentar –, als wir hierher einreisten, galt es noch, möglichst
proletarisch auszusehen, ansonsten man an der Grenze abgewiesen worden wäre.
Karl schüttelte stumm den Kopf. Er verstand längst nicht mehr, was hier warum
geschah. Manchmal überfielen ihn Gedanken an das Mädchen, dessen Verschwinden
er nicht hatte auflösen können, doch im Grunde war er glücklich, dem Mahlstrom
des Krieges entronnen zu sein. Es hieß in den Zeitungen, daß der amerikanische
Schriftsteller Hemingway sich derzeit in Spanien aufhielt. Karl konnte sich
eine boshafte Bemerkung nicht verkneifen. Wenn man berühmt genug ist, sagte er,
kann man jeder Tortur als Tourist beiwohnen und von sich reden machen. Wir, als
einfache Menschen, waren schutzlos allen Kapriolen des Krieges ausgeliefert.
    Eric, wohl weil alles andere seinem verwundeten Hals zuviel Mühe
gemacht hätte, nickte zustimmend. Der Begriff Torture-Tourist gefiel
ihm. Alle freuten sich wie Kinder auf Paris. Eileen kündigte an, daß Eric ein
Buch schreiben wolle, über seine Erlebnisse in diesem Krieg. Wenn es im Leben
so oft keine Wahrheit und Gerechtigkeit gebe, dann wenigstens in der Literatur.
    Ach ja? Karl horchte auf. Du schreibst ein Buch?
    Ich versuchs. Man sah Eric an, daß er nicht gern reden wollte, und
darüber erst recht nicht.
    Viel Glück! Karl fand das interessant. Und fragwürdig zugleich.
Woher nahm Eric das Recht, über den Bürgerkrieg zu schreiben? Wo er ihn doch an
einem engen Frontabschnitt erlebt hatte, an dem selten etwas los gewesen war,
der kaum stellvertretend für das Big Picture stand und höchstens einen sehr subjektiven
Ausschnitt wiedergeben konnte. Soviel Chuzpe möchte ich mal besitzen, dachte
Karl.
    Um acht Uhr abends traf der Zug auf dem Gare du Nord ein.
    Die Blairs wollten gleich weiter, mit dem Pullman nach London. Karl
hatte Luftlinie noch einen halben Kilometer zurückzulegen, bevor er sein neues,
ihm noch unbekanntes Zuhause erreichte, das Hotel Monbijou in der Rue
Dunkerque, 2.
    Max und Ellie fingen ihn noch vor dem Bahnhofsportal ab. Sie hatten
ihm so vieles zu erzählen, unter anderem, daß Ellie nun seine Halbschwester
war, aus der ersten Ehe der Mutter. Karl staunte nicht schlecht.
    Er und Max teilten sich in der Nacht ein Zimmer, aßen sich satt an
Weißbrot mit gesalzener Butter, Oliven und frischen Austern vom Markt, rauchten
amerikanische Zigaretten, tranken Champagner und unterhielten sich lange. Als
Karl, dem das alles wie ein kapriziöser Traum vorkam, endlich begriffen hatte,
welchen Aufstieg Max und Ellie verbuchen konnten, welche

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