Nicht ganz schlechte Menschen
Aussichten ihrer
Zukunft blühten, wußte er sich nicht anders zu helfen, als entgeistert zu
lachen. Instinktiv spürte er sofort, daß er in dieser Komödie nur störend
herumstehen oder unangenehm auffallen würde. Aber gut. Die Dinge lagen nunmal so
und so, und Karl versprach, kein Spielverderber zu sein. Relativ spät fiel ihm
ein, Max für sein Engagement zu danken. Er schlief schlecht in jener Nacht,
unruhig wie ein Kind in einer ihm fremden Umgebung.
Am nächsten Morgen, beim Frühstück, machte er mit Pierre Geising
Bekanntschaft. Allen Fragen, die auf Karls Heldentaten zielten, wich er aus,
spielte seine Rolle bescheiden herunter. Er sei nur ein kleines Rädchen
gewesen. Sein größter Verdienst, wenn man überhaupt davon sprechen wolle, habe
darin bestanden, Radio
France etlicher Halbwahrheiten zu überführen. Pierre fand Karls
Understatement hinreißend, er beneidete ihn ernsthaft darum, dem Weltgeschehen
so nahe gewesen zu sein.
Während wir hier, in Paris, sagte er, unsere Zeit mit Kleinigkeiten
vertändeln.
In den nächsten Wochen und Monaten führte Karl sein Studium der
Medizin an der Sorbonne fort, einfach nur, weil ihm nichts Besseres einfiel. Er dachte darüber nach, seine Erlebnisse im
Bürgerkrieg zu einem Buch zu verarbeiten, wie Eric Blair, aber irgend etwas
fehlte, um sich des Interesses des Publikums sicher zu sein. Nur einmal war er
Zeuge von etwas Wesentlichem geworden, das war das von der Welt zumeist
übersehene Massaker auf dem Gefängnisschiff. Darüber aber zu berichten hätte
nur den Faschisten in die Karten gespielt.
Max und Ellie arbeiteten im erweiterten Hotelmanagement, erledigten
alles mögliche, von Zeitungsannoncen über die Organisation der Wäsche bis hin
zum Waren- und Lebensmitteleinkauf. Ellie, die ständig klagte, daß sie bereits
verlebt aussehe, zerkaut von den Zähnen der Zeit, führte ein für ihre
Verhältnisse züchtiges, tadelloses Leben, als habe sie immer nur ein
ausreichendes Grundeinkommen nötig gehabt, um ihrer Profession zu entsagen. Mit
dem Erlernen der französischen Sprache wuchs ihr Selbstbewußtsein. Weder Max
noch Pierre hatten bislang von ihren intellektuellen Fähigkeiten viel gehalten.
Beide mußten einsehen, daß ein Mangel an Bildung nicht mit Dummheit
gleichzusetzen war. Ellie verstand es blendend, den Lieferanten günstige Verträge
abzuverhandeln, vielleicht, weil sie durch ihr Vorleben gelernt hatte, Menschen
schnell, aufgrund weniger Worte,
Gesten oder Mimiken, richtig einzuschätzen. Ihre Bestimmtheit, ihr resolutes
Auftreten entstammten der Einsicht, daß die überwältigende Mehrheit der Leute
konfliktscheu und kleinmütig war.
Die
nehmen alle lieber den Spatz in die Hand, als mit der Kanone saure Tauben
abzuballern! Wichtig ist, dasse’n gewisses Vertrauen entwickeln und das Gefühl
kriegen, nicht grob übern Tisch gezogen zu werden.
Als Karl sie einmal fragte, wie sie ausgerechnet an Pierre
Geising geraten sei, sagte sie, naja, das sei gegangen und gekommen, wie es
geht und kommt im Leben, im Kaufhaus besonders, ein Blickkontakt habe genügt,
zweideutige Worte seien gewechselt worden,
Haben
Sie Lust auf ein Abenteuer? Kommen Sie mit mir.
Ich
kenne Sie doch gar nicht.
Sonst
wär es ja kein Abenteuer.
Ein Mensch habe Mut gezeigt, ein anderer nicht rechtzeitig Einspruch
erhoben – und
plötzlich hatte ich ne Zunge im Mund, also genaugenommen zwei.
Max machte den Vorschlag, im Salon an jedem Sonntagabend eine Art
Künstlerstammtisch einzurichten, mit Kammerkonzerten, Lesungen, Debatten,
Vorträgen. Pierre, der für Experimente meist zugänglich war, gab sein
Einverständnis. Nach anfänglich frustriendem Besucherzuspruch kam die Sache ins
Rollen. Max sprach gezielt die in Paris lebenden Exildeutschen an, ob
persönlich oder mit Anzeigen in den Zeitungen. Auch die Homosexuellenszene
schien an Kultur lebhaft interessiert, und bald wurde das Monbijou zu einer Institution zwischen Geist und Eros, zwischen
Bildungs- und Anbahnungsstätte,
ein Treffpunkt für all jene, die in Paris genau das suchten, was ihnen Berlin
vor der Machtergreifung der Nazis geboten hatte. Max ging noch weiter und
veranstaltete sogenannte Verwechslungssoireen, auf denen Transvestiten
willkommen waren und eine dreiköpfige Combo zum Tanz aufspielte. An diesem
Punkt legte Pierre Einspruch ein. Bei allem Verständnis dafür, daß Max seine
verlorenen Berliner Verhältnisse im kleinen Rahmen rekonstruieren wollte, wies
Pierre auf die entstehende Gefahr hin. Am
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