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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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wenig Arbeit gutes Geld einbrachte,
1300 Francs im Monat plus die Prozente aus den Schwarzvermietungen, freiwillig
zu räumen. Von daher drohe, behaupteten Max und Ellie, keine Gefahr. Karl war
sich dessen nicht so sicher. Ihm als Bürgerkriegsteilnehmer, seufzte er, seien
alle vermeintlichen Sicherheiten verloren gegangen. Aber was solle man machen,
man könne Chapelle ja nicht beseitigen.
    Ich könnte es schon, zischte Pierre, und wie ich es könnte. Ich hab
eine Mordswut auf den Kerl. Ellie schlang einen Arm um seinen Hals, zur Beruhigung.
    Man muß ihn ja nicht gleich, sagte Max, umbringen, es genügt, ihm
klarzumachen, daß er sich solche Spielchen nicht erlauben kann. Erst muß man
ihn mal aus der Reserve locken. Lehn die Gehaltserhöhung einfach ab. Punkt. Und
falls er dann mit irgend etwas droht, dann …
    Was dann?
    Lassen wir uns was einfallen. Ich kenne Leute, die Leute kennen …
    Karl unterbrach ihn durch lautes Gelächter.
    Was ist denn so komisch?
    Ich mußte, sagte Karl, gerade daran denken, wie ich einmal meine
Lebensenergie für eine bessere Welt einsetzen wollte. Und nun hock ich mit euch
wie in einer Räuberhöhle zusammen, und ihr überlegt allen Ernstes, wie ihr
einem Mitwisser körperliches Leid zufügen wollt? Weil ihr ihm nicht mehr Geld
gönnt, obwohl ihr lebt wie die Maden im Speck? Das ist absurd.
    Nein, Karl, sagte Pierre aufbrausend, das ist eine Frage des Prinzips .
    Räuberprinzipien! All dieser verdammte Schwindel. Dieses ganze
lächerliche Theater.
    Max fiel alle Farbe aus dem Gesicht, und er hielt aus dem Stegreif,
ohne nachzudenken, eine kurze, recht laute Rede, um dem Bruder fürs erste das
Wort abzuschneiden.
    Die Welt ist nunmal ein Theater, Karl, und du solltest dir genau
überlegen, gerade
du , wo du sitzen willst in diesem Theater. Und wenn man
irgendwann einmal aus diesen Brettern, die die Welt bedeuten, ein Boot zimmern
will, mit dem man in See stechen kann, liebes Brüderchen, mit einem freien
Himmel über sich, dann sollte man diese Bretter nicht zerhacken, weil man einen
Zahnstocher für lästige Essensreste braucht.
    Ellie und Pierre sahen Max ausdruckslos an und versuchten,
diesem eigenartigen Vortrag Sinn abzugewinnen. Selbst Karl mußte einen Moment
überlegen, bis er seinen Bruder verstand. Dann gab er mit einer abwinkenden
Geste Entwarnung. Nein, er hatte zu keinem Moment vorgehabt, bedeutete jene
Geste, ihrer beider Wahlverwandtschaft zu Ellie als Komödie zu enttarnen.
    Zuletzt wurde beschlossen, Xavier schriftlich mitzuteilen, daß seine
Forderung ungerechtfertigt sei, er aber mit einem einmaligen Bonus von
fünfhundert Francs rechnen könne, falls seine Fehlzeiten pro Woche einmal
wieder weniger als zwei Stunden betrügen.
    Über schärfere Maßnahmen diskutieren wollte man erst, wenn es
schlechterdings unvermeidlich werden würde.
    Chapelle akzeptierte die Antwort. Jedenfalls zeigte er wenig
Reaktion und sprach die Sache nicht weiter an, ließ sie still auf sich beruhen.
Er erfüllte sogar regelmäßiger seine Dienstpflicht, als käme es ihm auf die in
Aussicht gestellten fünfhundert Francs an. Pierre war das nicht geheuer, er
glaubte, Xavier würde etwas im Schilde führen, von langer Hand planen, etwas
Bösartiges, Abgefeimtes. Und er überlegte hin und her, wie er sich dagegen zur
Wehr setzen konnte.
    Paris
befand sich in Feierstimmung. Ministerpräsident Daladier wurde nach seiner
Rückkehr aus München von den Massen bejubelt. Viele Menschen glaubten, daß
diesmal, anders als im August 1914, die Vernunft gesiegt habe und ein Krieg
verhindert worden sei. Es gab ja bis auf die freie Stadt Danzig kaum noch
vernünftige territoriale Forderungen, die Hitler stellen konnte, und nie
wieder, da war man sich auf den Straßen einig, durfte aufgrund politischer
Kleinigkeiten eine europäische Katastrophe heraufbeschworen werden.
    Der
Streit Deutschlands mit den Polen um Danzig schien angesichts der möglichen
Konsequenzen eine Kleinigkeit. Durfte man deswegen ernsthaft einen Krieg
riskieren? Und war Hitler dem sogenannten
Erbfeind
Frankreich nicht großzügig
entgegengekommen, indem er auf Elsaß-Lothringen für immer verzichtete? Es gab
Intellektuelle, die die Meinung vertraten, es sei besser, wenn ein paar weitere
hunderttausend Menschen künftig unter dem Faschismus leben müßten, statt
eventuell Millionen Tote in Kauf zu nehmen. Es war nicht so, daß man aus dem
Weltkrieg nichts gelernt hatte. Manche jener Pazifisten gaben denn auch,
allerdings unwillig, zu,

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