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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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daß man Hitlerdeutschland viel früher schon in seine
Schranken hätte weisen müssen, als es noch nicht zu jener Kraft und Macht
gekommen war. Sich zu Schiedsrichtern über Leben und Tod aufzuspielen, den
richtigen Moment einer solch invasiven Maßnahme vorzuschlagen, gar
einzufordern, hätten sie aber abgelehnt.
    ’s ist leider Krieg
    und ich begehre
    Nicht schuld daran zu sein!
    Die
berühmten Gedichtzeilen des Matthias Claudius wurden in den Zirkeln des Geistes
oft wie ein Mantra zitiert. Manche gaben zu bedenken, daß ein Krieg gegen
Deutschland auch verloren werden könne, danach sehe alles noch viel übler aus.
Aber solche Defätisten waren unpopulär, und man drohte ihnen nicht selten
Prügel an.
    Max war der Meinung, daß viele sogenannte Pazifisten, die
sich in der Emigration etwas aufgebaut hatten, die nicht hungern oder konkret
Angst haben mußten, einfach nicht gestört oder vor große Entscheidungen
gestellt werden wollten. Von Paris aus gesehen waren die dreißiger Jahre,
soviel ließ sich jetzt schon vorab resümieren, ein aufregendes Jahrzehnt
gewesen, das weiten Teilen der Welt allerhand Schauwert, Fortschritt und
Zerstreuung bot. Samt neuem Komfort. Sich selbst nahm Max vom Vorwurf, den er
apodiktisch und leichtfertig in den Raum stellte, gar nicht einmal aus. Im
Hinterkopf war er sich der Verantwortungslosigkeit seiner Position durchaus
bewußt. Hitler zu bekämpfen, hielt er für unbedingt nötig. Obwohl. Daß er sich
zu fein für ein persönliches Opfer war, war das eine, die mögliche Verteidigung
stand auf anderen Blättern, ebenjenen, auf denen er seinen Roman schrieb.
Kreativität entschuldige alles, lautete sein Credo, Schaffenskraft dürfe sich
nicht ablenken lassen. Ein gutes Buch leiste mehr für die Zukunft als jeder
politische Frondienst.
    Wenn auch über verschlungene Pfade des Denkens, wurden die Gebrüder
Loewe einander langsam ähnlicher, als würden sich im Laufe der Zeit ihre Gene
über ihre Lektüren und Prägungen hinwegsetzen.
    Max schnappte in den kommenden Wochen Tuntentratsch auf,
den er Ellie brühwarm weitergab. Eduard, bzw. Edüaar, dieser deutsche
Botschaftsangestellte, ein in der Hierarchie übrigens ganz kleines Tier, werde
in der Szene nur noch Ambassadrice , die Botschafterin, genannt, man habe ihn
mehrmals mit diesem polnischen Jungen zusammen gesehen, ein sehr ungleiches
Paar, schon von der Körpergröße her.
    Sag
bloß . Ellie gab sich gleichgültig bis gelangweilt.
    Es heißt im Nähkästchenfunk, daß der Pole jetzt vom Stricher zum
Zuhälter aufgestiegen ist und deinem Edüaar andere Jungs vermittelt.
    Wieso sagst du: meinem Eduard? Was soll das?
    Tu mal nicht so.
    Ellie war an einer Fortführung des Gesprächs nicht interessiert und
gab keine Antwort. Sie ließ sich auch durch weitere Hänseleien nicht
provozieren. Haltung zu beziehen zu dem, was Max da berichtete, kam ihr nicht notwendig vor. Am ehesten noch war
sie erleichtert, einerseits, weil sie sich über Eduard keine Gedanken mehr
machen mußte, andererseits, weil Heinrich nie vorbeikam, um das versprochene
Essenspaket abzuholen. Ihm mußte es demnach, den Umständen gemäß, gutgehen. So
gut es jemandem in seiner Lage gehen konnte. Das war doch, alles in allem,
erfreulich.
    Am 6. Oktober 1938 wurde Xavier Chapelle vermißt gemeldet.
Er hatte sich drei Tage lang nicht zur Arbeit bequemt. Es war aber nicht
Pierre, sondern Blanche, die zur Polizei ging.
    Es stellte sich heraus, daß sie von Chapelle schlecht behandelt
worden war. Sie hatte eine Fehlgeburt erlitten, lebte seit einigen Wochen bei
ihrer Mutter in Neuilly und war nur vorbeigekommen, um ihren Unterhalt zu
fordern. Der ihr seit ebenso vielen Wochen verweigert wurde. Neben Chapelle
waren aus der Hotelkasse zweitausend Francs verschwunden. Pierre erstattete
Strafanzeige. Die Polizei forschte nach und fand heraus, daß Xavier Chapelle
bei diversen Buchmachern mit fast 25.000 Francs in der Kreide stand. Wobei er
sich als Miteigentümer des Hotels Monbijou ausgegeben hatte, um diesen Kreditrahmen
überhaupt erst zu bekommen. Mit Blanche sei er unzufrieden gewesen, berichtete
unverblümt deren Mutter, die ihr Kind nur in Schutz nehmen wollte, denn jener
mißratene Schwiegersohn habe von der armen Blanche Dinge verlangt, die man
einer Frau guten Gewissens nicht zumuten könne. Auf Nachfrage, was genau das
gewesen sei, verweigerte sie zuerst die Auskunft. Schließlich erwähnte sie
doch, daß Xavier, eine unverzeihliche Gemeinheit, von Blanche

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