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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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unter anderem
gefordert habe, sie solle ihr Haar wie Ellie Geising tragen. Angebliche Freunde
oder Kumpane des Verschollenen wußten zu berichten, daß er in letzter Zeit
etlich Geld für Laudanum ausgegeben habe, um die Gefühlskälte seiner Frau
auszugleichen. Auch deren Fehlgeburt habe für die Beziehungskrise eine Rolle
gespielt; ein Arzt war der Meinung, Blanche könne keine Kinder mehr bekommen,
ohne sich in Lebensgefahr zu begeben.
    Pierre Geising, nach seinem Verhältnis zu Xavier Chapelle befragt,
gab an, man rede von einem bis dato zuverlässigen, verdienstvollen
Angestellten, der sich in letzter Zeit öfter einmal in eine Art Stundenexil zurückgezogen habe, was mit seinen Spielschulden, der Drogenabhängigkeit, dem
Schicksalsschlag et cetera et cetera im nachhinein leicht erklärt werden könne.
Ein sehr bedauernswerter Fall, der erneut beweise, daß hinter der Fassade eines
Menschen so gut wie alles möglich sei.
    Max und Karl entgingen einer Vernehmung, indem sie in ihren Zimmern
blieben und hofften, daß niemand vom Hotelpersonal sie erwähnen würde. Beide
spekulierten über das Vorgefallene und konnten nicht recht glauben, daß jemand
nur wegen 25.000 Francs Wettschulden und einer frigiden Frau gleich zum
Verbrecher wurde, eine gute Position und all seine Gewohnheiten aufgab, um mit läppischen zweitausend Francs Bargeld sein
Heil irgendwo im Ausland zu suchen. In Frankreich, da waren sie sich einig,
würde der Boden für Chapelle sehr schnell zu heiß werden. Die Vorstellung,
Pierre könne mit dem Verschwinden seines Angestellten etwas zu tun haben,
erschien ihnen zu abenteuerlich, aber irgend etwas an der Geschichte wirkte
krumm und unlogisch. Man vergaß beinahe die Tatsache zu feiern, daß Chapelle
künftig keine Rolle mehr spielen würde, was die Angelegenheiten des Monbijou betraf. Pierre meinte, die gestohlenen zweitausend
Francs seien ihm egal, müsse er nur künftig nie wieder, mit welchen Gefühlen
auch immer, die Visage dieses Gauners betrachten.
    Die
Lage in Spanien blieb für den Moment auslegbar im Sinne der jeweiligen
Propaganda. Seit April, als Franco mit einem Durchbruch zum Mittelmeer das
republikanische Gebiet in zwei Hälften geteilt hatte, mußte mit einem schnellen
Ende gerechnet werden. Die Regierung hatte um Frieden gebeten, Franco die
bedingungslose Kapitulation verlangt. Mit einer Großoffensive, einem wilden
Aufbäumen der republikanischen Kräfte, die alles daransetzten, ihre
Machtbereiche wieder zu vereinen, ging der Krieg weiter. Seit dem 24. Juli,
seit zweieinhalb Monaten, tobte die sogenannte
Ebro-Schlacht.
    Karl, der kurz vor dem Physikum stand, bekam von Pierre
das Angebot, Teile von Chapelles Posten zu übernehmen, eine Vierstundenschicht
zu einem höchst anständigen Salär. Karl sträubte sich ein wenig. Ihm
widerstrebte es, mit dem Hotel mehr als unbedingt nötig zu tun zu haben. Die
dort betriebenen Geschäfte schienen ihm zwielichtig genug und keiner aktiven
Unterstützung würdig.
    Dennoch akzeptierte er. Auschlaggebendes Motiv dabei war sicher, daß
er künftig von seinem Bruder finanziell unabhängig sein würde. Karl hatte seine
politischen Ambitionen keineswegs aufgegeben, nur aufgeschoben, bis nach dem
erfolgreichen Studium. Erst wollte er den Doktortitel, dann in die aktive
Parteiarbeit zurück. Denn ohne schon etwas zu sein, sollte man nichts werden
wollen. Das hatten ihn seine Erfahrungen gelehrt.
    Einmal bekam Ellie Angst, als Pierre ihr eine seltsame
Frage stellte. Wie die Mutter von Karl und Max mit Mädchennamen geheißen habe?
Ellie wollte das Auswendiggelernte schon herunterleiern, als sie innehielt. Sie
war im Begriff, etwas durcheinanderzubringen.
    Ellie, Karl und Max hatten der selbstgestrickten Legende nach ja ein
und dieselbe Mutter gehabt, nämlich Hedwig Loewe, geborene Fischer,
zwischendurch Jakobowski. Ellie sprach beinahe wie von einer ihr fremden
Person, gerade noch rechtzeitig fiel es ihr auf.
    Ich
weiß es genau, sie war nämlich auch meine Mutter – fügte sie hinzu
und verwandelte so eine unsicher bis verdächtig klingende Auskunft in einen
kunstvoll lakonischen Witz.
    Ach ja, sagte Pierre und erkundigte sich nach der exakten
Körpergröße ihrer Brüder. Warum und weswegen? Er meinte, es gehe um eine
Überraschung. Sie versprach, sich diskret zu erkundigen. Beide seien jeweils
einen Meter fünfundsiebzig groß, sagte sie ihm am nächsten Morgen. Nachdem so
die gestellten Fragen zu seiner Befriedigung beantwortet waren, bohrte

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