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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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Cicisbeos (so die
gebräuchliche Bezeichnung für einen Freund, einen Liebhaber auf Zeit) wie Marionetten mit dem
kleinen Finger zu lenken verstanden. Keine Prostituierten im engeren Sinne, da
sie für mehr Salär, als einer Hure zustand, viel weniger Dienstleistung boten.
Eine gute Fünfuhrfrau war hübsch, schick, amüsant, kokett, gebildet, eine tolle
Tänzerin und meist äußerst sparsam beim Erweisen sexueller Gefälligkeiten.
Männer, die ihnen verfallen waren, sollten es gefälligst als Lust und Erfüllung
empfinden, nach allen Regeln der Kunst ausgenommen zu werden. Angefangen mit
dem sogenannten Droschkengeld nach dem Fünfuhrtee. Bevor die Tölpel
endlich, in der Regel nicht vor Mitternacht, für wenige Sekunden ans Ziel
gelangten.
    Berlin, das waren aber auch:
    Die Separées der Mokka-Diele in der Potsdamerstraße, wo sich junge Paare
zum Knutschen treffen konnten, ohne durch einen Gedeckzwang viel Geld zu
verjubeln.
    Das Romanische
Café , wo man an kleinen runden Tischen Zeitungen las und nicht
unbedingt etwas konsumieren mußte. Politische Gespräche aller Couleurs fanden
dort statt.
    Und in den großen Warenhäusern öffneten livrierte Knaben,
die sich ansprechen ließen, die sich allermeist aufgeschlossen gaben, den in
die Jahre gekommenen Sumpfblumen der vermögenden weiblichen Kundschaft die
schweren Messingtüren.
    All das war Berlin. Das Wort Shopping gab es schon, und Grill-Rooms bedienten den schnellen Hunger der Großstadt nach Tieren und Menschen. Nie war
eine deutsche Stadt europäischer, metropolitischer gewesen. Berlin gab den Puls
der Zeit vor, es schien ganz und gar undenkbar, daß diese Stadt binnen weniger
Wochen zu einem großen Dorf werden würde, beherrscht von Verrückten. Man konnte
in Berlin auch mit wenig Geld Abenteuer erleben, und die Schrippen gab es in
den Aschinger-Filialen zur Fünf-Groschen-Erbsensuppe umsonst dazu, soviel man
wollte.
    Für Geld gab es einiges, für mehr Geld fast alles, und das
in einem weitgefächerten Angebot.
    In Berlin konnte jeder nach seiner Façon glücklich werden. Was es an
Begierden gab, wurde bedient. Nichts Menschliches war fremd, nur manchmal eben
etwas teurer. Oder sehr teuer. Wenn es zu entlegen war.
    Besonders interessierten Max jene Bordelle, die auf Schmerz- und
Demütigungs-Praktiken spezialisiert waren, nicht unbedingt, weil er selbst dort
nach Lusterfüllung suchte. Eher ging es ihm darum, Freier zu beobachten, die
alle Hemmschwellen um sich herum abgebaut hatten, die keinerlei Schamgefühl
mehr kannten und sich von Dominas vor aller Augen auf alle mögliche Arten
›behandeln‹ ließen. Solche Menschen faszinierten ihn, weil sie einerseits die
Moral hinter sich gelassen hatten, andererseits ihr Sklaventum sowohl zur Schau
stellten wie auch stilisierten. Er fragte sich oft, welche Schlüsse Nietzsche
aus jenen Darbietungen gezogen hätte, kam aber zu keinem Ergebnis, außer
vielleicht jenem, daß kommende Philosophen unbedingt einmal Zeuge solcher
Exzesse gewesen sein und dem Sexus die gebührende Achtung erweisen sollten.
    Max sah angezogen um einiges beeindruckender aus als
nackt. Die Natur hatte ihm aber einen sehr ästhetischen Penis geschenkt, der
sich in der Szene großer Beliebtheit erfreute. Es bereitete Max Vergnügen,
Vergnügen zu bereiten, und er mußte selten einmal Hand an sich legen, um zu
sexueller Entspannung zu kommen. Wenn auf gewissen Partys genug Alkohol
geflossen war, offenbarten auch manche Frauen, oft gerade solche, denen man ob
ihrer Gepflegtheit und ihrer tadellosen Umgangsformen dies nur schwer zugetraut
hätte, von welchen Fantasien sie besessen waren. Nur die Angst vor
Geschlechtskrankheiten, wozu für viele auch eine Schwangerschaft zählte, nichts
sonst, sorgte für einen Rest von Vernunft und Mäßigung.
    In typischen Lesben-Treffs wie dem Dorian Gray gab es auch
eine gemäßigte Anzahl männlicher Besucher (und mittwochs einen gemeinsamen
Sado-Maso-Abend), man war da nicht so strikt, während von der Szene (von teuren
Travestie- und sehr teuren Nackttanzlokalen sowieso) auch viele
Nicht-Homosexuelle angezogen wurden. Es galt als chic, in diesen Kreisen zu verkehren.
Das Eldorado verlangte zwanzig Mark Eintritt und zehn für eine Flasche Wein. Dafür hätte man
sich im Luxushotel Kempinski sieben Flaschen des besten Riesling gönnen können.
Auch schwule Nazis, manche nach Dienstschluß im Chiffon-Kleid, manche sogar
ganz offen in Uniform, suchten im Nollendorf-Kiez nach sexuellen Abenteuern. Im

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