Nicht ganz schlechte Menschen
Eldorado verkehrten des öfteren der SA -Chef Ernst Röhm, sein
Stellvertreter Edmund Heines und der Berliner SA -Oberste
Karl Ernst, und wer das wußte, hielt sich gern an der Illusion fest, so schlimm
würde es am Ende mit den Nazis schon nicht werden. Es gab sogar, das war
besonders verwirrend, ganz unpolitische Menschen, die eine geliehene SA -Uniform auf Fetisch-Parties trugen.
Am 26. Februar 1933 wurde Max achtzehn Jahre alt. Er hatte
für die Festivität eines seiner Lieblingslokale, das Silhouette in der
Geisbergstraße, gemietet. Als er es um Mitternacht betreten und den Chor der
Geburtstagsgratulanten hören wollte, gerührt schon von der Vorstellung, im
Mittelpunkt einer Clique von Freunden und Verehrern zu stehen, fand er die
Pinte schwarz und verschlossen vor.
Karl feierte nicht. In seiner sterilen Weddinger Wohnung löste er
ein kniffliges Kreuzworträtsel, spielte eine Partie Schach gegen sich selbst
und ging um elf Uhr nachts zu Bett.
Am 27. Februar, spätabends, brannte der Reichstag.
Angeblich sollte der Brandstifter ein junger Kommunist namens Van der Lubbe
gewesen sein, der noch am Tatort verhaftet worden war. Weder Max noch Karl
glaubten an diese Version des Geschehens, sie hielten die Nazis eines
raffinierten Täuschungsmanövers für fähig. Allzu wahrscheinlich hatten diese
das Gebäude selbst in Brand gesetzt, um einen Vorwand für neue Notstandsgesetze
zu haben.
Prompt wurde am nächsten Tag über die KPD ein Demonstrations- und Publikationsverbot verhängt, wurden ihre Strukturen
zerschlagen und fast alle ihrer Funktionäre verhaftet. Komplett verboten wurde
die KPD während des Dritten Reiches dabei nie, dazu
bestand bald keine Notwendigkeit mehr.
Doch
immer noch war Deutschland formal eine Demokratie, und bei den Wahlen am 5. März errangen die Kommunisten trotz herber Verluste beachtliche 12,6 Prozent
der Stimmen. Die wurden ihnen jedoch aufgrund der Reichstagsbrandverordnung
aberkannt, was den Nationalsozialisten die zuvor verfehlte absolute Mehrheit
einbrachte und Carte Blanche gab. Viele Oppositionelle hatten auf Bayern
gehofft, doch ausgerechnet dort konnten die Nazis ihre Stimmenzahl verdoppeln.
Das bisherige Mehrparteiensystem wurde unter dem Gejohle der politischen
Laufkundschaft de facto in eine Diktatur umgewandelt. Im Reichstag stimmten bis
auf die SPD alle dort noch vorhandenen Parteien ihrer Entmachtung zu. Zentrum
wie auch Deutschnationale erklärten ihre Selbstauflösung.
Vorgänge, die ein neutraler Berichterstatter seiner
Zuhörerschaft nicht plausibel hätte erklären können. Man wäre versucht gewesen,
von schwarzer, vielmehr brauner Magie zu sprechen, und wirklich ging es vielen
wie Max Loewe, der erst erschrocken, dann ungläubig, verblüfft, um nicht zu
sagen: sonderbar
berührt das Geschehen verfolgte. Was da vorging, war ohne
Beispiel, und mächtig, auf seine Art. Eine ungeheuerliche Bewegung, die in
ihrer Zerstörungswut einem Naturschauspiel gleichkommt, während doch alle
Naturgesetze außer Kraft gesetzt und die schutzlosen Zuseher auf sich gestellt
sind.
Max Loewe hatte das Programm der Nationalsozialisten studiert und
wenig Erwägenswertes darin gefunden. Ein roher Haufen war das, mit einer
lächerlich verworrenen anti-intellektuellen Ideologie, getragen von einem
geradezu paranoiden Antisemitismus. Und dennoch kam es ihm vor, als würde hier
unaufhaltsam Geschichte geschrieben, mehr noch, als gäbe es einen wenn auch
populistischen, wenn auch auf dumpfen Ressentiments beruhenden Gegenentwurf zum
Marxismus, der virilsten und bedrohlichsten Vision der Zeit. Während das Modell
der parlamentarischen Demokratie offensichtlich gescheitert war, zu den Akten
gelegt. Max hatte das neueste Buch Ernst Jüngers gelesen, Der Arbeiter . Darin wurde,
in einer gestelzten, schwer verdaulichen Sprache, die Symbiose von Rot und
Braun als vorläufiges Ziel der Geschichte diskutiert. Max hatte das Buch nicht
leiden können, zu steril war es, zu wenig konkret, aber nachträglich verstand
er es auf seine Weise als Warnung davor, wie ähnlich sich Kommunismus und
Faschismus seien und wie gefährlich, weil neben diesen beiden momentan nichts von
ähnlicher Attraktivität existierte. Was für Max bedeutete, daß man sich für
eines der Übel entscheiden mußte, um nicht außen vor zu bleiben. Die Geschichte
strebte allem Anschein nach, und das war erregend, auf einen großen Konflikt
jener alle bisherigen Werte umwertenden Systeme zu. Auf höherer Ebene hatte
Nietzsche
Weitere Kostenlose Bücher