Nicht ganz schlechte Menschen
wie pyromanisch illuminiert auch
immer.
Karl war seinem Wesen nach großmäulig und spitzzüngig zugleich. Er
konnte mehr austeilen als einstecken und neigte dazu, seine Unsicherheiten zu
überspielen. Während Max sich selten verstellte und die Brüche in seinem Wesen,
seine Träumerei und Unentschlossenheit, offen zur Schau trug. Das mußte er
selten bereuen, allermeist brachte es ihm Sympathien ein. Wenn er sich einmal
zu etwas durchgerungen hatte, tat er es schnell und konsequent. Karl, der immer
vorgab, Bescheid zu wissen, wie genau zu handeln wäre, verschleppte vieles,
womit er sich, vor allem von seiten seiner politischen Mitstreiter, den Vorwurf
einer gewissen Trägheit einhandelte.
Am 14. Mai wurde Karl Loewe verhaftet. Eigentlich mehr zu
einem Verhör abgeholt als wirklich verhaftet. Tags darauf unterschrieb Max
seinen Antrag auf Mitgliedschaft in der NSDAP . Er
habe sich, wäre er je danach gefragt worden, in einer stärkeren Position
befinden wollen, um dem allzu naiven Bruder zu helfen. So hätte er sich vor der
Nachwelt gerechtfertigt. Tatsächlich saß Karl nur zwei Tage im Spandauer
Gefängnis und zeigte sich viel weniger naiv als befürchtet. Gefragt, ob er den
kommunistischen Idealen abschwören wolle, sagte er sofort Ja Ja Ja – und wurde
daraufhin nicht etwa wegen seines Sarkasmus gefoltert, sondern entlassen. Die
Nazis hatten wichtigere Feinde, die unter Kontrolle gebracht werden mußten.
Achtzehnjährigen, noch wandelbaren Jüngelchen gestand man die Möglichkeit einer
schnellen politischen Umorientierung zu – und gab sich für den Moment auch mit
Kreidefressern zufrieden. Immerhin hatten im Januar ’33 mehr als ein Drittel
der Deutschen links gewählt und im März noch die Hälfte aller Berliner
Wahlberechtigten, fast anderthalb Millionen – diese alle dafür züchtigen zu
wollen, wäre selbst geisteskranken Berserkern nicht eingefallen.
Was die Linke nie geschafft hatte, setzten die Nazis sofort durch –
der 1. Mai wurde Feiertag. Sie griffen nicht nur zur Peitsche, auch zur
Süßigkeit, erkauften sich geschickt den Rückhalt des Volkes, der allein mit
Repressalien nicht zu erlangen gewesen wäre. Karl war entsetzt darüber,
wieviele Menschen, ohne daß man sie dazu gezwungen hätte, plötzlich die
nationale Revolution begrüßten. Schulklassen sangen an jedem Morgen ohne
Aufforderung das Horst-Wessel-Lied.
Er hätte auch nie für möglich gehalten, daß ein scheinbar so
gewaltiger, mitgliedsstarker Apparat wie die Partei der KPD sich als komplett wehrlos und ohnmächtig erweisen würde. Der preußische
Kultusminister ordnete an, daß sitzengebliebene Schüler doch noch versetzt
würden, wenn sie der Hitlerjugend beiträten. Die Klassenkonferenz solle im
Einzelfall ›weitherzig entscheiden‹. Hitler hielt eine vielbeachtete
›Friedensrede‹, um das Ausland zu beschwichtigen. Dabei hielten nicht wenige
für möglich, daß die Franzosen, ja sogar die Polen (!) einmarschieren würden,
um das Schlimmste zu verhindern.
Es war bald offiziell nicht mehr von einer ›nationalen Erhebung‹
oder ›nationalen Revolution‹ die Rede, sondern von der
›National-Sozialistischen Revolution‹, wobei das Sozialistische durchaus betont
wurde. Als ob sie jedem etwas hätte bieten können. Die Massen jubelten dem
Führer zu, die Diktatur mußte ihre Fratze vorerst nur einigen Minderheiten
offenbaren, und in vielen Ländern der Erde wurden gar Sympathien laut für das,
was da in Deutschland vorging. Eine ausgeblutete, durch Parteienstreit fast
unregierbar gewordene Nation, die unter den von der Siegerjustiz angeordneten
Reparationszahlungen für einen – angeblich – von ihr verschuldeten Weltkrieg
schwer zu leiden gehabt hatte, setzte sich unter der Führung eines einzelnen
Mannes, eines vorbestraften Gefreiten, dreist, in frischem Selbstbewußtsein
über alle Gebote hinweg ins grelle
Licht, verkündete, wirkungsvoll inszeniert, eine neue Ordnung der Dinge,
schob ihre Widersacher schlicht beiseite – das hatte etwas Kraftvolles,
Imposantes. Erinnerte an Napoleon Bonaparte. War, für sich genommen, großes
Kino. Selbst die entschiedensten Feinde der Nazis mußten eingestehen, daß hier
etwas nie Gekanntes vor sich ging und das Glück der Stunde nun schon über
einige Monate auf seiner Seite hatte.
Max’ Antrag auf Mitgliedschaft in der NSDAP wurde, wie Hunderttausende andere, abschlägig
beschieden. Es war ein auf vier Jahre festgesetzter Aufnahmestopp beschlossen
worden. Inzwischen
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