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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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diesem Tag begannen,
verliefen sie um so heftiger. Direkt im Anschluß an die Zerstörungen folgte die
Inhaftierung von etwa 30.000 männlichen, meist jüngeren und wohlhabenden Juden.
Sie wurden von Gestapo und SS in die drei deutschen Konzentrationslager
Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen verschleppt.
    Hitler,
der sich zu dieser Sache nie äußerte, hielt statt dessen am 10. November eine
inoffizielle Rede vor ausgewählten Vertretern der deutschen Presse. Darin
wurde, obwohl es um nichts anderes ging, das Wort
Krieg
vermieden, aber bereits
die Parole vom »Endsieg« ausgegeben.
    »Die
Umstände haben mich gezwungen, jahrzehntelang fast nur vom Frieden zu reden.
Nur unter der fortgesetzten Betonung des deutschen Friedenswillens und der
Friedensabsichten war es mir möglich, dem deutschen Volk Stück für Stück die
Freiheit zu erringen und ihm die Rüstung zu geben, die immer wieder für den
nächsten Schritt als Voraussetzung notwendig war. Es ist selbstverständlich,
daß eine solche jahrzehntelang betriebene Friedenspropaganda auch ihre
bedenklichen Seiten hat; denn es kann nur zu leicht dahin führen, daß sich in
den Gehirnen vieler Menschen die Auffassung festsetzt, daß das heutige Regime
an sich identisch sei mit dem Entschluß und dem Willen, den Frieden unter allen
Umständen zu bewahren. Es war nunmehr notwendig, das deutsche Volk
psychologisch allmählich umzustellen und ihm langsam klarzumachen, daß es Dinge
gibt, die, wenn sie nicht mit friedlichen Mitteln durchgesetzt werden können,
mit Mitteln der Gewalt durchgesetzt werden müssen. Dazu war es aber notwendig,
nicht etwa nun die Gewalt als solche zu propagieren, sondern es war notwendig,
dem deutschen Volk bestimmte außenpolitische Vorgänge so zu beleuchten, daß die
innere Stimme des Volkes selbst langsam nach der Gewalt zu schreien begann. Das
heißt also, bestimmte Vorgänge so zu beleuchten, daß im Gehirn der breiten
Masse des Volkes ganz automatisch allmählich die Überzeugung ausgelöst wurde:
wenn man das eben nicht im Guten abstellen kann, dann muß man es mit Gewalt
abstellen; so kann es aber auf keinen Fall weitergehen. Diese Arbeit hat Monate
erfordert, sie wurde planmäßig begonnen, planmäßig fortgeführt, verstärkt. Viele
haben sie nicht begriffen, meine Herren; viele waren der Meinung, das sei doch
alles etwas übertrieben. Das sind jene überzüchteten Intellektuellen, die keine
Ahnung haben, wie man ein Volk letzten Endes zu der Bereitschaft bringt,
geradezustehen, auch wenn es zu blitzen und zu donnern beginnt. Was würde denn
geschehen, wenn wir nun einmal einen Mißerfolg hätten? Auch das könnte sein,
meine Herren. Wie würde dieses Hühnervolk denn dann sich erst aufführen? Die
sind schon jetzt, da wir doch überhaupt nur Erfolge haben, und zwar
weltgeschichtlich einmalige Erfolge, unzuverlässig. Wie würden sie aber erst
sein, wenn wir einmal einen Mißerfolg hätten? Meine Herren, es war früher mein
größter Stolz, eine Partei mir aufgebaut zu haben, die auch in den Zeiten der
Rückschläge stur und fanatisch hinter mir stand, gerade dann fanatisch hinter
mir stand. Das war mein größter Stolz und bedeutete für mich eine ungeheure
Beruhigung. Dazu müssen wir das ganze deutsche Volk bringen. Es muß lernen, so
fanatisch an den Endsieg zu glauben, daß, selbst wenn wir einmal Niederlagen
erleiden würden, die Nation sie nur, ich möchte sagen, von dem höheren
Gesichtspunkt aus wertet: Das ist vorübergehend; am Ende wird uns der Sieg
sein!«
    In Paris, speziell im Monbijou , war man sehr niedergeschlagen
über die Vorgänge in Deutschland. Die idiotische Tat Herschels oder Hermanns
oder Heinrichs – alle diese Namen hatte der Junge benutzt – schrieb
Weltgeschichte. Ellie redete darüber, daß man dem armen Verwirrten hätte helfen
müssen, während Pierre darauf verwies, daß man sich zum Glück, ihm sei das zu
verdanken, nicht noch inniger mit dem Mörder eingelassen habe. Die Kluft
zwischen Ellie und Pierre vergrößerte sich. Einzig Karl zeigte, in Maßen,
Verständnis für die Tat. Wer tätig werde, laufe Gefahr, Schuld auf sich zu
laden, wer nichts tue, sei von vornherein schuldig. Natürlich seien die vielen
Toten (man ging zu diesem Zeitpunkt von einigen Dutzenden aus) zu bedauern,
andererseits habe sich Nazideutschland den Schleier von der Fratze gerissen,
die Welt werde nun vielleicht besser begreifen, womit sie es zu tun habe, und
sich stärker rüsten für den kommenden Konflikt.
    Du redest

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