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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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sie von den polnischen Grenzern mit Waffengewalt ferngehalten, da
sich die polnische Regierung angeblich mit der Integration weiterer Juden in
das Staatsgebilde überfordert sah. Zusätzlich behauptete sie, daß sich unter
den Vertriebenen auch politisch gefährliche oder zumindest unerwünschte
Personen befänden. Polnische und deutsche Grenzer trieben die staatenlos
gewordenen Menschen im Grenzland hin und her. Schließlich kam in den nächsten
Tagen ein Teil bei jüdischen Gemeinden in Polen unter, etwa 6.000 Personen
mussten aber im Flüchtlingslager Zbaszyn (Alt-Bentschen) in der Woiwodschaft
Poznan bleiben, wo die polnische Regierung sie internierte. Diejenigen Juden,
welche nicht über die polnische Grenze getrieben werden konnten, wurden nach
Protesten des polnischen Außenministeriums von den deutschen Behörden zurück
ins Landesinnere gebracht.
    Heinrich Halter wußte nichts über den Verbleib seiner
Familie und verfügte weder über Geld noch sonstige Möglichkeiten, etwas in
Erfahrung zu bringen. Ein letztes Mal sprach er bei Eduard vor und bedrängte
den Botschaftsangestellten, sich nach seinen Angehörigen zu erkundigen, wenn er
schon sonst – angeblich – nichts tun könne. Eduard lehnte dies mit großem
Bedauern ab, aus Furcht vor möglichen Konsequenzen für sich selbst. 1932 hatte
er eine Analgonorrhöe, eine Krankheit, die beinahe ausnahmslos Homosexuelle
befällt, von jüdischen Ärzten behandeln lassen. Bei denen er größere Hoffnung
haben konnte, daß sie die Erkrankung nicht den Behörden melden würden. Er sah
ein, sich in der Pariser Szene auf sehr unvorsichtige Art exponiert zu haben,
und nahm sich künftig Enthaltsamkeit vor. Als einfacher Legationssekretär war
er mit seinen neunundzwanzig Jahren in einer viel zu niedrigen Position, um für
Heinrich effektiv etwas auszurichten. Was den betraf, mußte er sich, soviel
Verständnis er für seinen Zorn auch aufbrachte, keine Vorwürfe machen. Ein
paarmal hatte er ihm gegenüber mehr aus sich gemacht, als er war, das stimmte
wohl. Doch für welches Lebewesen auf Erden hätte das nicht gegolten? Nein,
Ernst Eduard vom Rath, so lautete sein Name vollständig, konnte mit sich
weitenteils im reinen sein. Wenn er Heinrich darum bat, ihn künftig nicht mehr
zu belästigen, entsprach das nur konsequent den politischen Gegebenheiten, in
denen zu leben beide nunmal gezwungen waren. Mit diesen Worten kappte er jede
Verbindung zu dem jungen Juden, der für einige aufregende Wochen sein Geliebter
gewesen war.
    Heinrich waren die letzten Pespektiven verlorengegangen. Bald würde
der Winter kommen. Er traute sich nicht mehr ins Monbijou , sah ein, daß er
nach seiner jüngsten Entgleisung mit keinerlei Unterstützung rechnen konnte.
Aber Ellie Geising, der einzigen Person, die sich zu ihm stets korrekt
verhalten hatte, schrieb er einen kurzen Entschuldigungsbrief, teilte ihr seine
jüngste Adresse mit, das Hotel de Suez , in dem ein Zimmer pro Nacht nur
zweiundzwanzig Francs kostete. Zwei, drei Wochen könne er sich ein Dach über
dem Kopf vielleicht noch leisten.
    Ellie verstand die Bitte, den Hilfeschrei hinter der Entschuldigung
wohl. Kurz dachte sie daran, ihm eine Summe von dreihundert Francs auf
unbefristete Zeit zu borgen. Doch wollte sie nicht erneut hinter Pierres Rücken
aktiv werden, deshalb besprach sie sich mit ihm. Pierre meinte, daß Geld nicht
Heinrichs eigentliches Problem sei, das könne sich ein so schmukker Jüngling
leicht auf dem Strich verdienen. Es sei indes nur eine Frage der Zeit, wann die
Polizei ihn erwischen würde, und dann könne niemand ihm helfen.
    Dann soll ich stillhalten, ja? Weil es sowieso keinen Sinn hat?
Ellie stellte die Frage provokativ in den Raum. Pierre nickte einfach nur.
    Du kannst nicht das Leid der ganzen Welt auf deinen schmalen
Schultern stemmen, fügte er hinzu, als Minuten völliger Stille ihn von Ellies
Uneinsichtigkeit überzeugt hatten.
    Heinrich ist nicht die ganze Welt.
    Nein, aber weißt du was? Du gehst mir auf die Nerven. Mach endlich
einmal, nur ein einziges Mal, was ich dir sage. Ich hab es satt, ständig mit
dir diskutieren zu müssen. Wenn Heinrich Eier hat, soll er nach Spanien gehen
und für die Freiheit kämpfen, statt sie sich von geilen alten Männern lecken zu
lassen.
    Er hängt eben an seiner Familie. Und wie redest du mit mir?
    Ich rede so, damit du es begreifst.
    Was soll ich denn begreifen? Daß du ein herzloser Mensch bist?
    Schluß jetzt. Ich sag es dir zum allerletzten

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