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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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an der Wohnung, sonst sei ihr ja nichts geblieben. Und sie rechne
immer noch damit, daß Xavier sich bald wieder mit ihr vertragen und
zurückkommen werde. Wie könne sie denn das gemeinsame Nest aufgeben, ohne
Einwilligung ihres Gatten? Er würde ihr eine Szene machen nach seiner Rückkehr.
Na schön, hab ich gesagt, aber ich muß auch von etwas leben. Da sagt sie doch
zu mir, allen Ernstes: In Ihrem Alter brauchen Sie doch nicht mehr viel.
    Perec mußte lachen. Wie haben Sie darauf reagiert?
    Naja, verschnupft. So etwas sagt man ja nicht, wenn man sich Freunde
machen will, nicht wahr? Perec schüttelte zustimmend den Kopf.
    Und dann hab ich sie gefragt, wie sie sich das denn vorstellt, in
einem Rechtsstaat. Wissen Sie, ich glaube, daß diese Frau, zumindest zeitweise,
ein wenig, nun ja, unter uns, beschränkt ist und die Konsequenzen ihres
Handelns nicht so ganz überschauen kann. Wie ein störrisches Kind, das die
Realität nach Gutdünken ausblendet. Mir blieb ja fast nichts übrig, als einen
Advokaten zu konsultieren und eine Räumungsklage zu erheben. Irgendwie tat sie
mir aber auch leid, die arme Frau. Und dann bot sie mir dreihundert Francs pro
Monat an, hundert weniger als bisher. Ich sagte, gut, das Geld will ich aber
erst sehen. Und prompt gingen auf mein Konto achtzehnhundert Francs ein,
Mietgebühr für das erste Halbjahr. Nun nennen Sie mich dumm oder einen
Menschenfreund oder einfach ruhebedürftig, bis zum ersten Juli soll sie mal in
der Wohnung bleiben.
    Haben Sie sie denn gefragt, woher sie diese Summe plötzlich hatte?
    Nein. Geht mich ja auch nichts an.
    Perec bedankte sich für die Auskunft. Blanche Chapelle mußte sich
das Geld von irgendwem geliehen haben. Vielleicht von ihrer einzigen
Verwandten, ihrer Mutter, oder, um einiges wahrscheinlicher, von ihrem
Geliebten. Perec ließ sich Gerards Kontoauszüge vorlegen, in der Hoffnung,
alles würde ganz einfach zurückzuverfolgen sein. Aber die achtzehnhundert
Francs waren durch eine Bareinzahlung auf Gerards Konto transferiert worden.
Was Perec in seiner Theorie nur bestärkte. Pierre Geising hatte Blanche einen
Hilfsdienst erwiesen, wobei er, weil er kein kompletter Idiot war, unerkannt
bleiben wollte.
    Perec begriff, daß mit der Tür ins Haus zu fallen eine falsche,
voreilige Taktik sein würde. Und er freute sich geradezu darüber, auf dem
letzten Teilstück seiner Karriere an Kriminelle mit Verstand geraten zu sein.
Ein bloßes Fischen
in der Badewanne , so nannte er die Aufklärung einfacher Fälle,
wäre entschieden zu langweilig gewesen.
    In einem erneuten Verhör wollte er Blanche Chapelles Widerstand
brechen, aber hierfür mußte er zuerst etwas in der Hand haben. Etwas, mit dem
sie nicht rechnen konnte, wenn man es ihr unter die Nase hielt.
    Die geplanten Durchsuchungen, die laut Gerichtsbeschluß
binnen vier Wochen möglich waren, wurden immer wieder verschoben, statt dessen
wurde Blanche Tag und Nacht beschattet. Wenn sie ihre Wohnung verließ, wurde
das exakt protokolliert, ebenso, wenn sie Besuch empfing. Leider verließ sie
ihre Wohnung nur, um auf dem Markt einige Lebensmittel einzukaufen, und Besuch
empfing sie gar keinen, außer einmal den des Schornsteinfegers. Diszipliniert
ist diese Hexe, dachte Perec.
    Auch Blanches eingehende Post wurde kontrolliert, was eigentlich
illegal war, aber der Briefträger spielte mit und dachte überhaupt nicht daran,
sich deswegen mit einem hohen Kriminalbeamten zu streiten.
    Der Umstand, daß Perec wenige Wochen vor der Pensionierung stand,
gestattete ihm so etwas wie Narrenfreiheit. Das Polizeipräsidium wollte keinen
wichtigen, komplizierten Fall an jemanden übertragen, der ihn dann mitten
während der Ermittlungen an einen Nachfolger abtreten müßte. Deswegen hatte
Perec Zeit, sich auf Blanche und Pierre zu fixieren. Ein Scheitern kam für ihn
nicht in Frage, es würde ihm den Ruhestand unerträglich machen.
    Auch Pierre Geising sollte nun beschattet werden, aber das bekam
Perec wegen akuter Personalknappheit nicht genehmigt. Seine Kollegen begannen
bereits, über ihn zu tuscheln. Er hatte stets als etwas sonderbar und
eigenbrötlerisch gegolten. Es hieß, er habe nie im Leben etwas mit einem
Mädchen gehabt. Nein, mit einem Jungen erst recht nicht. Erfolgreichen Menschen
wird vieles nachgesagt. Genaues wußte niemand.
    Ellie besaß ihre kleinen Tricks, das Soso-Honorar für die
auftretenden Künstler im Rahmen zu halten. Wurden zweihundert Francs gefordert,
bot sie freiwillig dreihundert

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