Nicht ganz schlechte Menschen
sie
so gemeinsam blutend über dem Waschbecken hingen, hatten sie lachen müssen. Aus
wöchentlichen Begegnungen waren nach und nach tägliche geworden, die beiden
redeten mehr als zu vögeln, fühlten sich wohl miteinander, und irgendwann gab
ihr Max kein Geld mehr, nur hin und wieder eine Phiole voll Kokain, dann, weil
beide sich vor der Macht des Rauschgifts zu fürchten begannen, nur noch Liebe –
etwas, wonach Ellie sich jahrelang gesehnt hatte.
Sie war nicht mehr blutjung, doch an der Seite von Max fühlte sie
sich wieder so. Es war das beste Gefühl, das er ihr geben konnte, wenngleich
sie immer bereit war, zuzugeben, einer Illusion nachzuhängen, die irgendwann
ein Opfer fordern würde.
Ihr
gemeinschaftlicher Entzug schweißte die beiden zusammen. Sie nannte Max, in
Anspielung auf einen damals populären Roman Colettes, Chéri –
und wie die alternde Protagonistin des Romans plagte nichts Ellie mehr als der
Altersunterschied, der, so mahnten ihre Kolleginnnen, über kurz oder lang zur
Trennung führen müsse .
Sie wollte sich für diesen Fall ihre Würde bewahren und zögerte, Max zu
gestehen, wie sehr sie ihm verfallen war. Leider – und das war nicht
wiedergutzumachen, hatte der junge Mann einmal, einfach, weil er glaubte, keine
Geheimnisse haben zu müssen, zu dürfen, von Albertina erzählt. Von seinem
Wunsch, der Vater hätte die Bedienstete nicht verstoßen, sondern den Verlust
der Mutter mit ihr ausgeglichen, zum Wohl der Familie.
Schaler Ersatz für einen Kindertraum zu sein fand Ellie nicht eben
erregend. Zumal jene sagenhafte Albertina, das ging aus Max’ Beschreibungen
hervor, sich in einem Punkt deutlich von ihr unterschied. Die Natur hatte Ellie
mit wenig Brustumfang gesegnet, weshalb sie einen selbstentworfenen
Büstenhalter trug, der mit kleinen samtenen Stützkissen jenen als Makel
empfundenen Umstand geschickt kaschierte. Ihn zum Patent anzumelden, wäre ihr
im Traum nicht eingefallen.
Schwieriger zu kaschieren waren Max’ finanzielle Unpäßlichkeiten.
Von seinem Erbteil war kaum noch etwas übrig. Im Gegensatz zum sparsamen Karl
hatte Max das meiste auf den Kopf gehauen oder in fragwürdige Bekanntschaften
investiert. Er sah nun drei Möglichkeiten: entweder neben dem Studium eine ihm
unwürdige Arbeit anzunehmen, seine Eigentumswohnung zu verkaufen und billig zur
Miete zu wohnen oder beim Pferderennen zu gewinnen. Letzteres schien deutlich
attraktiver als die Alternativen, also fuhr er regelmäßig mit der Trambahn nach
Mariendorf, zu den Trabrennen. Wo er erst seine, dann große Teile von Ellies
Rücklagen verspielte. Es war nicht etwa so, daß ein hochintelligenter Mensch
wie Max keinen Weg gefunden hätte, ein gewinnbringendes System auszutüfteln.
Dessen Schwachpunkt lag einzig bei den Pferden, die unfähig waren, seinen
Gedanken zu folgen, die sich einen Dreck um mathematische Formeln scherten und
oft sogar, aus tierischer Bosheit, anders ins Ziel einliefen als von Max
prognostiziert. Damit hatte niemand rechnen können.
Und es gab ein anderes Problem: Der bereits zwei Jahre vor der
Machtergreifung der Nationalsozialisten eingeführte freiwillige Arbeitsdienst für Studenten wurde in einen unfreiwilligen umgewandelt. Was bedeutete, daß
Karl und Max in den Semesterferien zehn Wochen eine primitive Tätigkeit auf dem
Land verrichten sollten, vermutlich irgendeine Form von Erntehilfe. An sich
fanden beide die Idee nicht grundverkehrt. Kommende Akademiker würden Tuchfühlung halten zum Proletariat. Eine
Maßnahme gegen bourgeoise Abgehobenheit. Wäre dergleichen von den Kommunisten
gekommen, hätte zumindest Karl einen Sinn darin entdeckt und wäre dem Aufruf
gefolgt. Max hingegen fand jegliche Form von Zwangsdienst am eigenen Land als
Freiheitsberaubung, der sich Künstler, und für einen solchen hielt er sich,
prinzipiell entziehen müßten. Beide wagten es, sich krank zu melden, ohne bei
der Studentenschaft ein Attest zu hinterlegen noch zum sogenannten
›Ausgleichsdienst‹, einer körperlich anspruchslosen Tätigkeit, anzutreten.
Wider die eigene Erwartung kamen sie damit durch, während sich viele
andere zähneknirschend zum Dienst einfanden, im Glauben, es ginge nun einmal
nicht anders.
Doch in der Frühphase des Regimes waren die neuen Machthaber selbst
noch unsicher, was genau sie wem zumuten konnten und wie darauf reagiert werden
würde. Die Atmosphäre der Angst wertete in vielen Augen Soll- zu
Muß-Bestimmungen auf.
Max schrieb einen langen, ätzend-ironischen
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