Nicht ganz schlechte Menschen
ein Herrenrassenpenis könne
zersetzenden Umgang mit einer artfremden, gar mosaischen Vulva haben, war etwas
anderes, Ernsteres. Noch gab es keine klaren Direktiven, noch hatte das Wort Rassenschande nicht Einzug in die Paragraphen gehalten. In Hamburg wurde denn auch gleich
nach der Machtergreifung ein spezifisch jüdisches Bordell eröffnet, bald aber
wieder geschlossen, auf Geheiß des Führers. Der das irgendwie nicht hinnehmbar
fand. In Berlin waren zur selben Zeit ein Dutzend der berüchtigtsten und von
Max oft frequentierten Anbahnungslokale zugemacht worden, darunter das Silhouette ,
in dem sogar Marlene Dietrich gerne zu Gast gewesen war, die Monokel-Bar ,
das Dorian Gray ,
das Mikado und die Zauberflöte .
Selbst das von Ernst Röhm so geliebte Eldorado überlebte nicht.
Homosexuelle trafen sich bald in privaten Salons, organisierten sich neu,
gründeten zum Beispiel Literaturzirkel oder Kochgemeinschaften. An der
Verfolgung von Lesben zeigte sich das Regime seltsamerweise nie interessiert, aber
das konnte zu dieser Zeit niemand ahnen.
Ellie hielt es für nötig, ihre Permanenz-Annoncen in den Berliner
Boulevardblättern – (Masseuse sorgt in diskreter Atmosphäre für individuelle Entspannung
etc.) aufzukündigen. Und ihren Liebhaber von ihrer prekären
genetischen Herkunft zu unterrichten.
Max reagierte erstaunt, denn er hatte an Ellie nie
angebliche jüdische Charakteristika wahrgenommen, weder physiognomische noch
Wesenszüge. Ihr Nachname, Jakobowski, hätte ihm wohl einmal zu denken geben
müssen, aber was sind Namen, wenn nicht Schall und Rauch. Selbstlos bot er
Ellie an, sie zu heiraten; sie solle sich christlich taufen lassen, bestimmt
könne damit etwas erreicht werden. Ellie entgegnete, sie sei ja schon getauft,
protestantisch, schon immer, wie übrigens ihr Vater selig auch. Max staunte.
Aha, sagte er nur. Aha.
Ihm war nicht recht klar gewesen, daß die Nazis dabei waren, eine
Gesellschaft zu errichten, in der dem wie auch immer erblich gezeichneten
Individuum kein Schlupfloch bleiben sollte, um sich durch Assimilation einer
Verfolgung zu entziehen. Dergleichen erschien ihm widersinnig, dumm und überaus
boshaft, auch ihm selbst gegenüber, denn wenn er ganz ehrlich zu sich war,
hatte er sich stets darauf verlassen, daß im äußersten Notfall Ellie für das
Feuer im Ofen sorgen würde. Er schlug etwas pathetisch vor, ihr falsche Papiere
zu besorgen, und erkundigte sich in einschlägigen Lokalen nach dem Preis. Es
wäre sehr teuer, zudem vergebens gewesen, denn die Nazis hatten sich längst
Zugang zu allen Ämtern und Akten verschafft, und Ellies Vater war nun einmal
als Samuel Jakobowski geboren worden. Daß er irgendwann eine Arierin geheiratet
und deren Glauben angenommen hatte, spielte eine untergeordnete Rolle. Die
Situation der getauften deutschen sogenannten Halbjuden (die Nazis
sprachen von Mischlingen
ersten Grades ) war dabei längst nicht besorgniserregend. Im
Gegenteil, das Regime legte Wert auf die Feststellung, daß man sogar Volljuden,
sofern sie als Frontkämpfer gedient hätten, als Volksgenossen anerkenne. Und
Samuel Jakobowski war im Weltkrieg Leutnant gewesen. Es gab Möglichkeiten, die
drohende Gefahr kleinzureden. Glücklicherweise fanden in zwei Jahren die
Olympischen Spiele in Deutschland statt. Bis dahin würden die Nazis, die
ohnehin schwer unter dem Auslandsboykott litten, sich hüten, einen allzu üblen
Eindruck in der Welt zu hinterlassen. Alles beruhigte sich wieder. Ellie
arbeitete nicht mehr von der Straße aus, wechselte das Zimmer, sie ließ sich in
Gaststätten ansprechen und hielt sich einige Stammkunden warm. Sie verdiente
sogar etwas mehr als früher, die Preise hatten angezogen. Es war dann auch ein
ganz anderes Ereignis, das in Max Panik auslöste.
In Deutschland sollte die allgemeine Wehrpflicht eingeführt werden,
in einem halben Jahr schon, im März 1935. Einem Pro-Forma-Studenten ohne
Zwischenscheine, einem Arbeitsdienst-Drückeberger würde sicher kein Aufschub
gegönnt werden. Max dachte an Karl, dem Militarismus jeder Art verhaßt war. Wie
würde er sich verhalten? Nachdem die Brüder länger nichts voneinander gehört
hatten, kam es zu einem Treffen, im November ’34, im Roberts am Kudamm, wo sie
Milchshakes (Karl) und Cocktails (Max) amerikanischer Art verkosteten. Ein
neumodisches Schnellrestaurant; bezahlt wurde am Ausgang, was die Bedienung als
Verzehrsumme auf dem Ticket gelocht hatte.
Man umarmte sich, und von einem Moment auf den
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