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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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und sie nicht ohne Not desillusionierenden
Morgenstunden aussetzt. Außerdem wäre ihr keine Ausrede gegenüber Max eingefallen.
    Im
deutschen Reich wurde am 10. Juli 1936 der für seinen Mut während der Zeit der
Saalschlachten legendäre Kommunist Etkar André nach dreieinhalbjähriger
Untersuchungshaft unter anderem wegen Hochverrats und Mordes an einem
SA-Truppführer zum Tode verurteilt. Trotz äußerst dürftiger Beweislage. Breite
internationale Proteste der höchsten diplomatischen Stellen verlangten eine
Begnadigung. Hitler ließ die Angelegenheit zunächst offen. Außenpolitisch
bemühte sich die Diktatur um Zurückhaltung, die jüngste Krise mit Österreich
wurde diplomatisch gelöst. Man wollte der feindlichen Presse nicht in die
Karten spielen, wollte viel eher das Bild einer einig und zufrieden hinter dem
Führer stehenden Nation suggerieren. Man kam diesem Propagandaziel gerade
dadurch nahe, indem man nicht das Lamm spielte, das hätte zu durchschaubar und
heuchlerisch gewirkt, sondern indem man den starken, aber bedächtig agierenden
Wolf gab, der selbstbewußt, wiewohl vernünftigen Gründen nicht unzugänglich
war. Nicht wenige Menschen dachten um, hielten Hitler für einen gewieften
Pragmatiker in der Maske des Fanatikers.
    Dr.
Joseph Goebbels notierte in seinem Tagebuch (26. Juni 1936):
Regeln für Partei
Olympiade besprochen. Partei tritt nicht auffällig in Erscheinung.
    In
einer Presseanweisung ordnete er an, daß der Rassenstandpunkt bei der
Berichterstattung völlig unbeachtet bleiben müsse.
    Geising verfiel auf krude Gedanken. Ellie eines Tages zu
verfolgen, war noch nicht mal der absonderlichste. Im Gegenteil, für jemanden,
der an finsterschwarzer Schwerleere litt, lag das auf der Hand.
    Ellie blickte sich, wenn sie in schnellem Schritt über die Straßen
zur Metro eilte, immer mal um, eine praktische Angewohnheit aus
Hitlerdeutschland. Nein, sie war sich einigermaßen sicher, Pierre folgte ihr
nicht, und hatte sie erstmal den Waggon betreten, gab es doch Dutzende
Möglichkeiten, wo sie wieder aussteigen würde. Pierre wußte einzig, daß sie und
»ihre Brüder« irgendwo im Quartier Latin wohnten, das war ihr ganz in der
Frühphase der Beziehung einmal rausgerutscht. Seither hatte sie exaktere
Nachfragen mit nichts als einem tadelnden Zungenschnalzen beantwortet. Mit
Ellie Jakobowski in den Waggon der Linie 5 nach Süden stieg denn auch nicht
Pierre Geising, sondern Luc Bouchard, ein sechzehnjähriger Küchenjunge des Hotel Monbijou ,
dem der Auftrag seines Chefs soviel Spaß bereitete, daß er sich beinahe durch
sein Dauergrinsen verraten hätte.
    Am Gare d’Orléans-Austerlitz stiegen beide zur Linie zehn um und
fuhren zwei Stationen bis zur Rue du Cardinal Lemoine. Eigentlich hätte Ellie
der Knabe auffallen müssen. Aber er hielt geschickt Abstand.
    22. Juli 1936
    Lieber Max,
    ich sage dir: Barcelona! Eine Stadt in Aufruhr, in Euphorie ist
das, schwarz und rot beflaggt, voller Musik, eine Stadt im Taumel des Ausnahmezustands,
der sich johlend und stampfend zur Regel erhebt. Freiheit und Gerechtigkeit!
Binnen weniger Tage ist dort nichts mehr wie zuvor. Das Volk feiert die
Machtübernahme durch die Arbeiterklasse, skandiert an jeder Straßenecke
Parolen, die irgendwie, aus innerer Poesie heraus, zu Versen und Liedern
werden. Man muß von der Sprache gar nicht viel verstehen, um sich von der
revolutionären Woge getragen und bewegt zu fühlen. Auf den Ramblas wird
gesungen, als Begleitung genügt oft eine krächzende Geige, eine betrunken
geschlagene Trommel, wo im Grunde doch überhaupt kein Instrument nötig wäre,
dem Singsang Struktur und Resonanz zu verleihen. Stell dir vor, mir war nicht
bekannt, daß man in Katalonien einen herben, vernuschelten Dialekt dem Spanisch
der Wörterbücher vorzieht, ich habe rein gar nichts verstanden, und mich doch
willkommen und eingebunden gefühlt. Von den Kämpfen habe ich wenig mitbekommen,
nur Schüsse gehört, das natürlich schon. Es heißt, daß von allen spanischen
Städten der Putsch der Faschisten in Barcelona am schnellsten und
schmerzlosesten niedergerungen wurde, dank der Entschlossenheit der
Arbeitermilizen. Es kursieren Geschichten von kaum bewaffneten Menschenmengen,
die in purer Todesverachtung die Maschinengewehrnester der Putschisten überrannt
haben sollen. Inwieweit das stimmt, weiß ich nicht, noch nicht, aber die
Vorstellung ist so schön – ich möchte gern daran glauben. Die Rede ist von etwa
tausend Toten und

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