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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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meiner
Überreste nach irgendwohin. Dann möchte ich hier begraben sein. Es lebe die
Freiheit!
    Max las den Brief Ellie vor, die bei dem Wort Kreditjuden mißbilligend die Brauen hob, sonst aber von Karls Schilderungen bewegt schien.
Sie fragte Max, auf welcher Seite er denn in Spanien kämpfen würde, müßte er sich für eine
entscheiden. Er gab keine klare Antwort, zuckte nur mit den Schultern, als
ginge ihn das nicht wirklich etwas an. Ob man sich dann nicht automatisch mit
dem Niedersten gemein mache, bohrte Ellie nach. Nein, sagte Max, er halte es
für einen wenn auch verbreiteten Aberglauben, daß geistige Unabhängigkeit
zugunsten des geringeren Übels aufgegeben werden müsse. Er sei doch nur ein
einzelner Mensch, der auf keiner Seite dieses Konflikts entscheidend etwas
bewirken könne. Die Position, die er vertrete, werde aber entscheidend
geschwächt, verriete er sie durch eine momentan vielleicht opportun scheinende
Parteinahme. Weswegen, so schloß Max sein kurzes Plädoyer, soll ich zwischen
Pest und Cholera wählen, wenn ich doch gesund bleiben will – und kann?
Vielleicht kommt ja bald die Zeit, die froh über jeden sein wird, der ihr noch
etwas anderes anzubieten hat.
    Ellie spürte, daß Streit in der Luft lag. Du kannst, hätte sie
beinahe gesagt, nicht im Ernst die Faschisten durch deine Gleichgültigkeit
gewähren lassen. Aber sie sah auch voraus, wie Max sich darüber lustig machen
würde, er würde aufstehen und die ihm vorgeworfene Gleichgültigkeit
pantomimisch nachstellen, indem er den Faschismus lässig wie ein Stierkämpfer
an sich vorüberwinkte, vielleicht sogar mit dem Hitlergruß, den er bei solchen
Debatten oft pompös-ironisch gebrauchte. DEUTSCHER
EXILSTUDENT VERSÄUMT SEINE PFLICHT! ÖFFNET DEM BRAUNEN KEHRICHT TÜR UND TOR.
SKANDAL! So oder mit ähnlich ausgedachten Parolen hätte Max die Debatte
ins Absurde, Lächerliche gezerrt.
    Er hätte Ellie sogar, wäre er in Zorn geraten, vorgeworfen, daß sie
die Welt durch eine blassrot getönte, jüdische Brille sehe, nach egoistischen
Maßgaben und primitivsten Überlebensinstinkten, ohne Sinn und Blick für den
höheren Mechanismus im Zeitgetriebe – jenseits des von der Todesmühle beengten Horizonts. Was immer er damit meinte.
Wenn sie stritten und Max angetrunken war, kam es vor, daß er einfach
nur schwieg, demonstrativ schwieg, wo andere ihre Frauen geschlagen oder
niedergebrüllt hätten. Davon fühlte sich Ellie verletzt, abgetan, als geistig
nicht satisfaktionsfähiges weibliches Bündel wild umherirrender Emotionen. Eine
besonders tückische, kaum zu verzeihende Strategie. Sein Schweigen nahm ihr die
Luft, erstickte ihre Wut wie mit einem Kissen. Jede Geste zuviel von ihr, jede
etwas zu laut geäußerte Silbe wäre in seinem Schweigen wie ein in Harz
gegossenes Beweisstück ihrer Hysterie gelandet. Und doch konnte sie nicht
anders, als durch ein energisches Seufzen ihren Protest zu bekunden.
    Auf
den Straßen dominiert nicht etwa der Ruf nach Revanche oder Rache.
    Karl
hatte diesen Satz mit bestem Wissen und Gewissen geschrieben. Sein subjektiv
sehr begrenzter Einblick in die Geschehnisse erlaubte ihm diese Aussage. In
Wahrheit war eine Zeit der Abrechnung gekommen. Allein in Katalonien wurden in
den ersten Tagen des Bürgerkriegs etwa 700 Priester, Mönche und Nonnen ermordet,
auf grausamste Weise massakriert. Die Gesamtzahl der aus politischen Motiven
Getöteten belief sich auf etwa 25.000. Auf Reiche und Großgrundbesitzer wurde
Jagd gemacht, und wer auch nur eine Krawatte trug, riskierte bereits seine
Festnahme. Es gab Plünderungen und Standgerichte. Aber auch rühmliche
Ausnahmen. So wurde der Bischof von Barcelona von Durruti persönlich vor dem
wütenden Mob gerettet, wie man sagt, aus Dankbarkeit, weil jener Bischof einst
ein Gnadengesuch für den schon zum Tode verurteilten Anarchistenführer
unterzeichnet hatte. Die von den Faschisten unter General Franco begangenen
Greueltaten, welche wohl weniger spektakulär waren, doch in ihrer Anzahl jene
der Republikaner weit in den Schatten stellten, wurden von der internationalen
unabhängigen Presse seltener debattiert. Kastrierte, verblutende Priester,
geschändete Nonnen, abgefackelte Kirchen, zerschossene Klöster, geöffnete Särge – das waren Bilder, die auf das bürgerliche Europa ungemein bedrohlicher
wirkten als etwa die nüchterne Meldung, man habe leider tausend Gefangene vor
dem Rückzug, damit sie nicht wieder zu verfeindeten Soldaten würden,

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