Nicht lecker, aber Weltrekord
lernst du’s endlich?«
Klingt alles sehr plausibel. Aber noch ist es zu früh, meine Eltern mit diesen Fortschritten meiner Therapie zu konfrontieren, einfach bei ihnen anzurufen und zu sagen: »Ich habe diese Form des Daseins nur gewählt, damit ihr stolz auf mich seid. Ich bin dazu verdammt, alle Steine umzudrehen, bis ich den Schlüssel finde!«
Meine Eltern würden sich, wie alle Eltern, bloß schwere Selbstvorwürfe machen und mich ihrerseits mit einer Realität konfrontieren, für die wiederum ich noch nicht reif bin: »Katinka, der Schlüssel liegt im Blumenkasten. Immer schon.«
Wozu also neue Wunden aufreißen, wenn alte Narben noch nicht heilen konnten, weil es sie nie gab? Lieber noch eine Runde Mah Jongg spielen.
Während ich per Mausklick die Steine umdrehe (darunter ein paar sehr hübsche, mit Drachen darauf), beruhigt sich meine aufgewühlte Seele allmählich wieder. Ich bin ein eigenständiger Mensch. Und wieso sollte man für alles, was einem widerfährt, seine Eltern zur Verantwortung ziehen, wenn man einen Partner hat? Will ich vielleicht ihn umdrehen oder will ich, dass er verschwindet? Oder hoffe ich, Punkte machen zu können, wenn ich ihn hochhebe?
Das klingt so romantisch, wie es unwahrscheinlich ist. Es muss ja auch nicht immer gleich was Sexuelles sein, obwohl viele Verschwörungstheoretiker genau dies behaupten. Mein Lieblingskommentar zu den Ereignissen des 11. Septembers stammt übrigens von einem französischen Psychologen, der vor laufender Kamera zunächst behauptete, die Amerikaner seien selbst daran schuld, dass die Flugzeuge in die Türme stürzten.
»Tja, im Westen nichts Neues«, dachte ich noch, aber da holte der Franzmann zu einer Begründung aus, die sich gewaschen hatte. Die Türme seien eben zu hoch gewesen, als dass sie als offensichtliches Phallussymbol von anderen Männern hätten geduldet werden können.
»Okay«, ließ ich mich auf dieses Gedankenspiel ein, »darauf kann man sich zu Not noch einigen: Alle Kerle sind destruktiv.«
Und wie zum Beweis zerstörte er seine aufgestellte These sofort wieder selbst und behauptete das Gegenteil:Genau genommen seien die Amerikaner doch nicht schuld an dem Attentat, sondern eher deren Mütter. Denn Männer bauen hohe Türme, weil sie nur so verarbeiten können, dass sie nie Sex mit ihrer Mutter hatten.
Damit hielt er seine Ausführungen für beendet, ich aber fragte mich, was dieser umständliche Abbau eines Ödipuskomplexes im Umkehrschluss bedeuten sollte? Was ist mit den freundlichen Niederländern, die glücklich und in Frieden in ihren niedrigen Bungalows und Wohnwagen hausen? Sind die nur deswegen so frei von Aggressionen, weil sie schon alle mit ihrer Mutter …?
Um mich von diesem Gedanken abzulenken, spielte ich ein paar Partien Mah Jongg. Als alle Steinchen verschwunden waren, war auch Ground Zero wieder einigermaßen aufgeräumt.
Junge Dinger
Die wissenschaftliche Bezeichnung für eine meiner größten Ängste klingt nicht nur so, als hätte sich Pippi Langstrumpf das Wort ausgedacht, sondern ist auch ein garantierter Gewinner bei der Logopäden-Olympiade: Ephebiphobie bezeichnet die Angst vor Teenagern. Und auch wenn dieses Wort nahezu unaussprechlich ist, bin ich doch beruhigt, dass es existiert. Denn das bedeutet, dass ich nicht die Einzige bin, die sich vor Jugendlichen fürchtet, obwohl es eine vollkommen unlogische Angst ist. Wäre ja so, als hätten Frösche Angst vor Quappen. Andererseits: Das sieht man in der Natur auch selten, dass eine Kröte sich mit ihrem Nachwuchs beschäftigt. Die gehen lieber das Risiko ein, sich auf der Landstraße überfahren zu lassen, als weiterhin am gleichen Tümpel wie ihre Brut abzuhängen. Das stimmt nachdenklich.
Therapieerfahren wie ich bin, weiß ich, dass man sich seinen Ängsten stellen soll, jedoch nicht unvorbereitet. Bevor ich jetzt also einfach tagsüber das Haus verlasse und Gefahr laufe, an der benachbarten Schule einer Horde Menschenquappen ins Netz zu geraten, muss ich die Situation in Gedanken durchspielen und mirganz ehrlich die beliebte Supergau-Frage beantworten, nämlich: »Was ist das Schlimmste, was ein Teenager mir antun könnte?«
Die Antwort ist ebenso knapp wie erschütternd: Sie könnten da sein. Ihre bloße Existenz macht mich wimmern, denn auch wenn Teenager scheinbar gerade gar nichts tun, sind sie doch stets beschäftigt. Mit Strotzen. Den lieben langen Tag lang, von kurz nach ihrem zwölften bis zum fünfzehnten Lebensjahr, stehen,
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