Nicht menschlich Inc.
»Die Teamleiterin des Callcenters ist zurzeit verhindert, daher teilen der Prokurist und ich uns ihre Arbeit, und damit auch die Beaufsichtigung der Telefonisten.«
»Beaufsichtigung?«
Eine wegwerfende Handbewegung zischte durch mein Blickfeld. »Ja, da darf man die Zügel nicht schleifen lassen. Sonst geschehen Dinge wie Privatgespräche in der Arbeitszeit oder manch einer überzieht ganz gern mal seine Bildschirmpausen. Dann wird der Signalton ignoriert, und ich muss sehen, dass ich die Leute wieder zusammentreibe.«
Zügel? Zusammentreiben?
Das durfte alles nicht wahr sein. Ich dachte an den Scherz im Auto mit Desmond und erkannte, dass ich wirklich Glück hatte, nicht inmitten der Telefonistenherde gelandet zu sein. Mütterchen Schicksal hatte in meinem Fall eins seiner halb blinden Augen zugekniffen.
Als hätte sie meine Gedanken gelesen, tat Stacey das nun auch und fixierte einen Punkt über mir.
Ich fuhr herum und entdeckte eine Uhr, deren Zeiger sich in diesem Moment der vollen Stunde näherte. Ich staunte, wie die Zeit seit meinem Außeneinsatz vergangen war. Wäre das heute ein normaler Büroalltag, wäre ich bereits auf dem Nachhauseweg. Allerdings hatte der Prokurist etwas von Spätschicht erwähnt, also musste ich wohl oder übel noch bleiben.
»Wie lang dauert die Spätschicht?«, fragte ich Stacey.
Sie hielt zwei Finger in die Höhe. »Die Telefonisten beginnen bald ihren letzten Durchlauf. Setz dich am besten. Ich gebe dir Bescheid, wenn der Prokurist dich zu sehen wünscht.«
Sie wandte sich ab. Ihr Teufelsschwanz beschrieb einen Kreis, als würde er mir zum Abschied zuwinken.
Ich sah mich unschlüssig um, dann schlenderte ich in der Hoffnung auf ein Gespräch mit Desmond ins Papierlager. Fehlanzeige, hier wartete nichts auf mich, außer trockener Luft und der Geruch von Druckerschwärze. Nachdenklich ließ ich mich auf dem Tisch nieder und starrte Löcher in die Wand.
Eine Weile später schlug ich bei dem Versuch, eine Fliege zu fangen, einen Papierkarton von der Tischfläche. Ich versuchte, es positiv zu sehen, so konnte ich mich immerhin beschäftigen. Nachdem ich den Karton wieder gefüllt hatte, bemühte ich mich, alles totzuschlagen, was mir einfiel.
Die Fliege. Die Erinnerung an Adrian Wills. Die Zeit.
Die Tür öffnete sich, als ich ein paar Dehnübungen machte und mit den Fingerspitzen den Boden berührte.
»Ich wusste doch, dass ich etwas gehört habe«, sagte Stacey. »Alles okay?«
Hastig richtete ich mich wieder auf. »Ja, bestens. Ich hab nur etwas verloren.«
Meine Würde. Mein Realitätsbewusstsein. Meinen Verstand?
Ich grinste breit. Stacey antwortete mit einem sirenenhaften Lächeln. »Der Prokurist möchte dich sprechen, ehe man dich nach Hause begleitet.«
Ein gutes Stichwort. Diesen Punkt hatte ich bisher ebenfalls erfolgreich verdrängt. Ich wusste nicht, wie ich hergekommen war, also würde ich den Rückweg kaum allein finden. Es sei denn, jemand steckte mir wieder so einen Käfer ins Auge und schlug mir gleichzeitig kräftig auf den Hinterkopf. Wenn ich dann aufwachte, lag ich vielleicht an der Straßenecke in Camlen, begafft von zwei Ordnungshütern, die mit ihren Handschellen wedelten, um mich in eine Ausnüchterungszelle zu sperren.
Augen zu und durch.
»Wer bringt mich denn?«
»Das mache ich. Die anderen haben ja schon Feierabend.«
Ich war ein wenig enttäuscht, lächelte aber tapfer und folgte ihr durch die schmalen Flure der Firma, wobei ich mich bemühte, die Wände zu betrachten. Die Überwachungskamera über dem Eingang hatte ich bereits entdeckt, also würde ich einen Teufel tun und Staceys Pobacken anvisieren. Einen Teufel tun, haha.
Noch während ich mich im Stillen amüsierte, schob Stacey mich bereits in das Büro des Prokuristen und schloss die Tür hinter mir.
Ich stand und starrte. Dann holte ich vorsichtig Luft. Der Geruch im Zimmer erinnerte mich an eine Arztpraxis.
Der Prokurist saß hinter seinem Schreibtisch und betrachtete etwas auf seinem Monitor.
Ich faltete die Hände vor dem Körper.
Er ignorierte mich.
Ich überlegte, wie man einen Halbkobold zustande brachte. Ganz genau wollte ich es nicht wissen, aber das kleine, klatschsüchtige Erbe meiner Mutter in mir begehrte zu erfahren, wie die rothaarige Walküre ihren Mann kennengelernt hatte. Wie sah ein Vollblut eigentlich aus? Ich wusste nichts über Koboldanatomie. Alles war möglich.
Etwas Grünes schoss durch die Peripherie meines Gesichtsfeldes und ich begriff, dass
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