Nicht menschlich Inc.
der Spätschicht war es noch hell. Ich sah Mütter mit Kinderwagen, ältere Leute auf Bänken oder sich prügelnde Jugendliche. So oft ich mich auch umdrehte und ihnen allen hinterherstarrte, niemals sah ich Teufelsschwänze oder Flügel. Die Fahrt verging wie im Flug. Als der Bus schließlich in Westburg hielt, ging es mir besser.
Vor unserem Haus parkte Kims roter Sportwagen auf dem Seitenstreifen. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich hier längst nicht in Sicherheit war. Im Gegenteil. Ich musste ebenso viele Fragen über meinen Job umschiffen und die Wahrheit verdrehen wie in LaBrock. Es gab in beiden Welten keinen Ort und keinen Menschen, bei dem ich einfach die Masken fallen lassen konnte. Außer Desmond, und der war in diesem Moment so unendlich weit weg, dass ich nicht einmal wusste, wie ich die Entfernung berechnen sollte. Obwohl ich ihn erst kurz kannte, vermisste ich ihn wahnsinnig – ihn und das Gefühl, nicht dauernd auf der Hut sein zu müssen.
Aber so durfte ich nicht denken. Unter normalen Umständen hätte ich mich gefreut, Kim zu sehen. Sie war meine beste Freundin, aber leider hatte sie die Angewohnheit, verbissener als ein hungriger Hund sein zu können, wenn sie wollte. Doch jetzt war es zu spät für einen Rückzieher. Immerhin wollte ich nach Hause, und sicher hatte Kim mich bereits entdeckt. Ich fragte mich, wie lange sie schon auf mich wartete, denn ich hatte ihr nicht gesagt, wann ich zurückkommen würde.
»Nala!«
Die Autotür flog auf. Fasziniert beobachtete ich, wie Kim eine artistische Meisterleistung auf ihren hohen Absätzen hinlegte.
»Hey.« Ich hob eine Hand, mehr um sie zu stoppen, als um sie zu begrüßen. Ich wollte nicht riskieren, dass ich angefahren wurde, weil sie mich umrannte, wir zusammen mitten auf der Straße zu Boden gingen und ohnmächtig wurden. Nicht auszudenken, was der Prokurist machen würde, wenn ich an meinem dritten Arbeitstag nicht auftauchte. Wen auch immer er einstellte, derjenige würde seine Schwierigkeiten haben, mich aufzuspüren.
Kim wurde wirklich langsamer, bohrte wenige Zentimeter vor mir ihre Mörderabsätze in den Boden, reckte sich und zog mich in ihre Arme. Ich roch ein neues, stark vanillehaltiges Parfüm und pflückte eine ihrer Haarsträhnen von meinen Lippen. Als sie mich losließ, kicherte sie aufgedreht. Natürlich, sie erwartete bahnbrechende Geschichten, die ich ihr sogar liefern könnte, wenn ich nur gedurft hätte. Aber Desmond hatte sich eindeutig ausgedrückt. Es genügte, wenn ich Gefahr lief, von der Behörde geschnappt zu werden – Kim wollte ich da nicht mit hineinziehen.
Sie hatte sich ihre freie Zeit mit Shoppen vertrieben und trug ein Kleid, das eher in den Sommer gepasst und in dem ich gefroren hätte. Passend dazu hatte sie sich eine beigefarbene, kurze Jacke übergezogen. Ich konnte sie nicht mal für ihren Kaufrausch tadeln, denn ich hatte mich gestern nicht bei ihr gemeldet und sie vollkommen allein gelassen. Ich hatte sie quasi in die Arme des Konsums getrieben. Ich war ein schlechter Mensch.
»Warum hockst du denn hier im Auto herum?« Ich versuchte, locker zu klingen.
Kim schnitt eine Grimasse. »Ich weiß ja nicht, wann du nach Hause kommst. Gestern habe ich bis Mitternacht auf deinen Rückruf gewartet, aber nichts.«
Autsch, sie streute Salz in die Wunde. Das war nicht nett.
Demonstrativ reckte ich mich und begann, meine Schultern zu massieren. »Die haben mich ziemlich lange eingearbeitet. Ich war total müde, als ich endlich zu Hause war. Da bin ich fast sofort eingeschlafen«, versuchte ich mich zu rechtfertigen.
Kim überhörte das Ganze mit einer würdevollen Geste, griff nach meiner Hand und zog mich zur Haustür. »Siehst du, darum bin ich heute hier. Um zu verhindern, dass du einschläfst, ehe du mir alles erzählt hast. Ich platze nämlich vor Neugier, und außerdem habe ich Hunger. Schade, dass dein Vater nicht da ist.«
Ich war darüber sehr erleichtert. Es genügte vollkommen, von Kim in die Mangel genommen zu werden. Da konnte ich die Fragen vielleicht noch elegant umschiffen, bei einem Kreuzverhör mit ihr und Pa wäre ich dagegen rettungslos untergegangen. Mist, was sollte ich ihr erzählen?
Ich kramte nach dem Haustürschlüssel, und Kim stand vor der Tür und hibbelte herum. Sie deutete auf das Schloss, den Himmel, ihre Schuhe, dann auf mich und im Endeffekt hatte ich nicht im Entferntesten eine Idee, was sie mir damit sagen wollte. In solchen Fällen war es ratsam, ihre Zuckungen
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